Ol tw X * jf Qa^ÖP,5 12* Das Oderbrucb im ^Handel der Zeit Gruft Breitkreutz :: Lehrer in Remlcbeid :: Bruchhof aus dem 19. Jahrhundert. Geburtshaus des Verfassers. Das ©de^bimch im COandel det? £eif. Ein hulfurhifioriiches’Bilfl von Lehrer in Remlcbeid. 3 Abbildungen. preis brofch. r.50 Mh. KÜNIGUO BffiUOmtvW BERUH Selbstverlag. s: Ilemscheid 1911. :: 3- S• Ziegler'sche Buchdruckerei. Alle Rechte Vorbehalten. III Vorwort. Liebe zur Heimat, dem grünen Land im märkischen Sand, in welchen: Dörfer und Weiler so weich und wohlig gebettet liegen, hat mich veranlaßt, dieses Büchlein, das dem Leser in schlichter Form vom Werden und Wachsen des Oderbruches und seiner: Bewohnern erzählen soll, zu schreiben. 150 Jahre sind in dieser: Tagen seit der Vollendung des gewaltiger: Kolonisationswerks Friedrichs des Großen ver- flossen, und unwillkürlich richtet der heutige Oderbrücher seinen Blick zurück auf die Vergangenheit und läßt die Bilder alter Tage an seinem Geiste vorüberziehen. Die verblaßten Gestalten jener Feit neu zu beleben, die vielfach irrigen Vorstellungen, denen man so häufig begegnet, zu berichtigen, soll der Zweck dieser Schrift fein. Ich glaube diese Aufgabe um so besser erfüllen zu können, als ich mich bei meinen Angaben nicht von irrigen lleber- lieferungen, die sich wie eine ewige Krankheit vererben, habe leiten lassen, sondern, soweit es mir möglich war, auf ein treues Quellenmaterial zurückgegangen bin. In dankens- werter Weise haben mir das Kgl. Geh. Staatsarchiv in Berlin, die Kgl. Regierungen in Frankfurt a. O. und Potsdam und das Kgl. Grundbuchamt in Freienwalde a. O. die er- betenen Atter: zum Studium zur Verfügung gestellt, und mancherlei Anregung ist mir durch die schon vorhandene Literatur über das Oderbruch geworden. IV Herzlichen Dank sage ich an dieser Stelle allen, die mich bei dieser Arbeit unterstützt haben! Möge meine Arbeit dazu beitragen, Liebe zur Heimat, Interesse für die Vergangenheit, frohen Mut und hohe Erwartung für die Zukunft zu wecken und zu fördern! N e m s ch e i d, im Frühjahr 1911. Ernst Breitkrcutz. V Literatur. 1. Berghaus: Landbuch der Mark Brandenburg. 1883. 2. Brämer: Die Oder und ihr Gebiet. 3. Dr. Bruchmüller: Zwischen Sumpf und Sand. 1904. 4. Christiani: Das Oderbruch. 1901. 5. A. Detto: Die Besiedlung des Oderbrnches. 6. Fontane: Das Oderland. 1899. 7. Nveldechcn: Oekvnvmische und staatswirtschaftliche Briefe. 1800. 8. Ranke: Diluvium und Urmensch. 9. P. Schnitze: Die Parochie Neu-Lietzegöricke. 1907. 10. Kgl. Preußische Deich- und Ufer-, auch Graben- und Wegeordnung. 1769. 11. Akten des Kgl. Geh. Staatsarchivs in Berlin. 12. „ „ „ Grundbuchamtes in Freienwalde O. 13. „ der „ Regierungen in FrankfnrtO. u. Potsdam. 14. „ des Pfarramtes in Ncu-Cüstrinchen. 18. Alte Flnrkartcn und Aufzeichnungen des Schulzeuamtes in Neu-Cüstrinchen. 16. Anfzeichnungcn von Privatpersonen. 17. Dr. Ed. Zache: Die Landschaften der Provinz Branden- burg. 1905. 18. H. Borkenhagen: Aufsätze über das Oderbruch. 19. Heese und Rambnsch: Geschichte des Dorfes Nen- Lewin. 1905. 20. Di-. E. Schmidt: Geschichte des Deutschtums im Lande Posen. 1904. Berichtigungen: S. 1# Z. 1: Statt „Oberdämme" lies „Oderdämme." 3- 27: „ „die zu Anfang" lies „deren Vorfahren zu". S.^SS, Z. 11: „ „Brüches" lies „Brüchers". VI AnHattsverzeichnis. Vorwort m Literatur V Berichtigungen V I. Das alte Odcrbrnch. Die Eiszeit 1 Der Urstrom 1 Entstehung der Oder 2 Entstehung des Oderbrnchcs 2 Das alte Bruch 3 Die alten Vrnchcr 4 Ein stiller Fischer 7 II. Die Urbarmachung des Oderbrnchcs. Erste Entwässerungsversuche 0 Vorarbeiten zum großen Werk 11 Gegner der Urbarmachung 11 Ein kürzerer Zlbfluß 13 Dämme und Deiche 14 Brücken und Fähren 21 Entwässerung 24 Rodung 25 III. Die Besiedlung des Oderbrnchcs. Verteilung des gcmonnencu Landes 27 Adlige und Ordens-Etablissements 30 Königliche Etablissements 34 Die neuen Ansiedler 46 Kirchen und Schulen 67 Ausgaben und Einnahmen 75 Der königliche Bauherr 79 Des Königs Baumeister 82 IV. Aus dem Leben dev ersten Ansiedler. Paulsen — Neu-Rüdnitz 86 Böse — Nen-Cüstrinchcn 88 Scharr — Neu-Medewitz 89 VII Die Russen in Nou-Lewin 90 Kolonistenbrief 91 Die Emigranten in Neu-Barnim 96 Schlösser — Neu-Rüdnitz 97 Fabel — Neu-Cüstrinchen 98 Breitkreuz — Neu-Wustrow 99 Goltz — Neu-Cüstrinchen 99 Der Aufruhr in Kerstenbruch 99 Die Flüchtlinge aus Neu-Tornow 103 Bruchmüller — Neu-Rüdnitz 103 Tharow — Neu-Trebbin 104 Der Fährmann Mewes 107 Pächter von Herrenwiesen 108 Holzarmut im Bruch 109 Streit in Neu-Lietzegöricke 109 Hader in Neu-Lewin 110 Priefer-Veblitz in Neu-Rcctz 111 Schulze Bräunig — Neu-Cüstrinchen 112 Welsch — Neu-Tornow 112 Obacht — Neu-Glietzen 114 Das Fährunglück bei Neu-Kietz 115 V. Das neue Oderbruch. Wasserverhältnisse der Oder 117 Das Flutjahr 1785 119 Hochwassergefahren 120 Das Unglücksjahr 1838 121 Die Melioration des Niederbruches 124 Schöpfwerke und Polder 126 Der heutige Oderbrücher 129 V V- l 1. Das alte Hderöruch. Die Eiszeit. In altersgrauer Vorzeit gab es eine Periode, in welcher infolge einer veränderten Stellung unsrer Erde zur Sonne die Temperatur eine wesentlich niedere war, als sie heute ist. Gewaltige Gletschermassen bildeten sich auf der nördlichen Erdhälfte und verbreiteten sich langsam von den Kämmen der Hochgebirge über die umliegenden Täler. Der mäch- tigste Gletscher jener Eiszeit war derjenige, der sich von den Höhen des großen skandinavischen Gebirgsstockes nach Süden zu bewegte. Er bedeckte schließlich unsre norddeutsche Tief- ebene und kam erst am Fuße des deutschen Mittelgebirges und der Karpaten zur Ruhe. Dieser Gletscher brachte ge- waltige Felsblöcke, welche sich von dem nordischen Felsen- gebirge losgelöst hatten, mit herüber nach Norddeutschland. Und als sich dann nach vielen tausend Jahren die Temperatur steigerte, schmolzen die Eismassen wieder zurück und lagerten die Steinblöcke ab, die wir heute noch in unfern umliegenden Bergen und Wäldern als Findlingssteine oder erratische Blöcke bewundern können. Der Urstrom. Durch das Schmelzen des riesigen Eisfeldes wurden ungeheure Wassermassen frei, die große Becken füllten und sich zu einem mächtigen Urstrom vereinigten, der seine Wogen am Südrand des schwindenden Gletschers in der Richtung von Osten nach Westen hinwälzte. Er nahm an- fangs seinen Lauf durch das Gerinn der Weichsel, der Netze, der Warthe, durchbrach die neumärkischen Höhen, gelangte in das jetzige Oderbett und brauste in drei mächtigen Armen der Elbe zu. Alsdann nahm er seinen Weg in der Richtung der Aller und Weser und ergoß seine Fluten ins nordische Meer. Der nördlichste der drei Arme des Urstroms im heutigen Brandenburg durchfloß das jetzige Oderbruch, fand aus diesem Binnensee seinen Abfluß durch das Rinnsal des Finow-Kanals und strömte dann weiter der Elbe zu. Entstehung der Oder. Das muldenförmige Schlesien war in jener Zeit ein großes, wildwogendes Meer. Seine Fluten durchwuschen langsam den sandigen karpatischen Höhenzug und folgten dem nach Norden entweichenden, schmelzenden Gletscher. Sie stürmten dann gegen den sich ihnen entgegenstellcnden bal- tischen Höhenzug, durchbrachen ihn und stürzten sich beim heutigen Stettin ins Meer. Nun leerte sich das schlesische Becken. Das abströinende Wasser aber wühlte sich eine tiefe Rinne, das heutige Oderbett, die dann von den abstürzenden Quellwassern des schlesischen Randgebirges als Flußlauf benutzt wurde. So bildete sich die Ode r. Auch die Weichsel durch- brach bei Kulm den Landrücken, und es flössen in der Folge die Gebirgswässer nicht mehr nach Westen, sondern nach Norden ab, der natürlichen Senkung des Bodens folgend. Der Urstrom verlor seine Bedeutung ganz, und es blieben nur noch die schon genannten Nebenflüsse übrig. Entstehung des Oderbruches. Der Oderstrom lagerte mitgebrachtes Geröll, Schlamni und Schlick im Oderbruche ab. Der Boden desselben erhöhte sich infolgedessen immer mehr, bis er zuletzt bei niedrigein i* — 3 — Wasserstand stellenweise an die Oberfläche trat. Der Strom schuf immer größere Landmassen und machte sich schließlich in diesein Sumpfgelände ein eigenes Bett. Dieses war aber durchaus nicht beständig, sondern hing ganz von den Launen des trotzigen Gesellen ab. Zuerst flutete er am Ostrand der kurmärkischen Höhen entlang, später aber nahm er seinen Weg an, Fuße der neumärkischen Berge vorbei und floß dann von Güstebiese nach Wriezen im jetzigen alten Oderbett. Zur Zeit eines Hochivassers aber, wenn in den schlesischen Gebirgen große Schneemassen schnell schmolzen, verließ der ungestüme Strom sein Bett und ergoß seine Fluten planlos durch das alte Sumpfland. Betrat er wieder seine Bahn, so ließ er See und Tümpel zurück, z. B. den Faulen See bei Wriezen und den Klostersee bei Friedland. Die höhern Landmassen festigten sich; sie wurden trocken und überzogen sich mit Gras. Kraut und Bäumen. Das alte Bruch. Zwischen diesen Inseln dehnten sich weite Wasserflächen, Sümpfe und Lachen aus, die von Fischen und Krebsen wimmelten. Reiher. Störche, Kiebitze, Möven, wilde Gänse und Enten fanden reichliche Nahrung. Im Erlendickicht hausten Füchse, Dachse, Biber, Marder, Ottern und Wölfe. Gewaltige Mückenschwärme spielten zur Sommerzeit über dem trägen Wasser und machten zuweilen ein Getöse, als würde in der Ferne „eine große Trommel gerührt". Dichter Nebel lagerte sich oftmals über die Wildnis, und gespensterhaft ragten knorrige Weiden und Eichen aus ihm hervor. Wegen seines Fischreichtums wurde das Bruch früh von den alten Wenden ausgesucht, die die höhern Plätze besiedelten. So entstanden vor etwa 1200 Jahren die Dörfer Trebbin, Lebbin, Baaren, Alt-Wrietzen, Wustrow, Mcetz und Reetz. — 4 — Die alten Brücher. Diese Wenden gehörten zum Stamme der Lutizen, der sich zur Zeit der Völkerwanderung zwischen Oder und Elbe niederließ. Sie waren Heiden. Zur Zeit Karls des Großen und der sächsischen Kaiser brachte man den Wenden deutsche Kultur und das Christentum. Sie verfielen jedoch immer schnell wieder in ihre alten Sitten und Gebräuche. Erst mit Beginn des 12. Jahrhunderts trat ein Umschwung ein. Dem Askanier Albrecht, genannt der Bär, gelang es, die Wenden in Güte langsam zu germanisieren. Deutsche Bauern siedelten sich neben den Wenden an, schufen neue Dörfer oder er- weiterten die vorhandenen slavischen Dorfanlagen. Ein deutscher Unternehmer erhielt vom Landesherrn ein bestimmtes Gebiet zur Besiedlung. Er teilte die Flur in Hufe *) ein, überwies 2 davon der Kirche, behielt 2 bis für sich und verteilte den Rest unter deutsche Ansiedler. Der Unter- nehmer genoß ein besonderes Ansehen; er übernahin in der Regel das Amt eines Lehnschulzen und hatte als solcher gewisse Rechte und Freiheiten. Großes Verdienst uin die Germanisierung der Wenden haben sich auch die Prämonstratenser und Zisterzienser er- worben. Sie stifteten viele Klöster, von denen aus die deutsche Kultur verbreitet ivurde. Die alten Bewohner des Bruches lebten fast nur vom Fischfang, später trat neben diesen Erwerb noch etwas Vieh- zucht. Ihre Hütten lagen auf einsamen Hügeln dicht neben- einander. Rings uin dieselben hatten sie zum Schutze gegen das Wasser hohe Düngerwälle aufgeführt. Auf diesen zogen sie sich einiges Gemüse. Der übrige Dünger wurde einfach ins Wasser geworfen und von diesem hinweggeschwemmt. Im ganzen fristete der alte Oderbrücher ein stilles und von der Welt abgeschlossenes Dasein. Eine Verbindung zwischen seiner Scholle und dem benachbarten Höhenland bestand nur *) 1 Hufe — 30 Morgen oder T'/s ha. — 5 — zur Winterzeit durch das Eis. Aber der Brücher sehnte sich auch wenig nach der Außenwelt. Das benachbarte Wriezen suchte er nur auf, wenn er seine gefangenen Fische und Krebse verkaufen wollte. Wie wir schon hörten, waren die Gewässer an diesen Tieren außerordentlich reich. Hechte gab es so viele, daß sich in Wriezen und Freienwalde eine Zunft der Hechtreißer bildete. Quappen fing man in solchem Ueber- fluß, daß man sie gar nicht alle verkaufen konnte. Häufig wurden dieselben in lange, schmale Stücke geschnitten, ge- trocknet und statt des Kiens zum Brennen gebraucht. Mit Plötzen, Rotaugen und Barschen mästete man die Schweine. Die Fische waren häufig so billig, daß man für eine ganze Tonne *) nur 2 Taler bezahlte. Wriezener Fuhrleute brachten die Fische in Kübeln, die init Wasser gefüllt waren, nach Berlin. Eingesalzene Hechte, gedörrte Aale, geröstete Lachse, Zärten und Neunaugen wurden nach Sachsen, Thüringen, Schlesien, Böhmen, Bayern, ja selbst nach Italien verschickt. Auch Krebse gab es in großer Fülle. Bei einer Dürre im Jahre 1719 war die Oder ungewöhnlich klein. Fische und Krebse suchten die größten Tiefen auf. Da das Wasser aber von der Hitze außerordentlich warm wurde, krochen die Krebse in das Gras am Ufer, ja sogar auf die Bäume, um im Blätterlaub Kühlung zu suchen. Von diesen konnte man sie alsdann wie reifes Obst herabschütteln. Das Schock Krebse kostete häufig nur 2 Pfennige. Schildkröten gab es in Menge, und 1709 wurde sogar bei Alt-Glietzen ein Seehund gesehen. Ein Fischer schlug mit seinem Ruder nach dem Ungetüm; dasselbe verschwand jedoch im Wasser. Bei niedrigem Wasserstand wurden später größere Wiesen- flächen so trocken, daß man in: Spätsommer gutes Heu für Kühe und Ochsen darauf gewann. In manchem trocknen Jahr konnte das Vieh sogar auf die Weide getrieben werden. ) 1 Tonne — 3 Zentner oder 150 kg. — 6 — Neben dem Heu fütterte man Flottgras und junges Rohr. Der vermögende Brücher machte zuweilen eine ganz erkleck- liche Anzahl Ochsen fett, die er nach Berlin verkaufte. Im ganzen aber herrschte groß Armut im Bruch. Zu jener Zeit waren die Eskadronchefs verpflichtet, für den Unterhalt der Pferde selbst zu sorgen. Da bemühten sich denn die umliegenden Reiterregimenter, ihre Pferde zur Grasfütterung in den Bruchdörfern unterzubringen. Zu diesen gehörten die Göckingschen Husaren, die Pfalzbayerischen Dragoner und die Gensdarmes (Garde-Kürassiere). Aller- dings war der Verdienst an diesen Soldatcnpferden gering. Für ein Pferd wurde in der Regel nur 1 Taler monatlich bezahlt. Zum Gottesdienst fuhren die alten Brücher nach Wriezen; dort auch begruben sie ihre Toten. Zuweilen kam auch ein Prediger aus Wriezen im Kahn zu ihnen und verkündete ihnen, die sich in Kähnen um ihn geschart hatten, das Evangelium. Trotz der niedrigen Lage der Dörfer inmitten großer Sümpfe und Moräste erfreuten sich die alten Brücher einer vorzüglichen Gesundheit. Aus alten Sterberegistern ist er- sichtlich, daß die Leute häufig ein hohes Alter erreicht haben. Das alte Oderbruch war eine Wildnis, umhüllt von Nacht und Nebel, ein Schlupfwinkel für böse Menschen und wilde Tiere. Aengstlich wurde dieses Nebelheim von den be- nachbarten Höhenbewohnern gemieden. Und wenn in dunkler Winternacht der Sturmwind über die Horste *) raste, wenn das Heulen des tückischen Wolfes sich in des Windes Brausen mischte, ein angstvolles Bellen der Dorfhunde auslösend, wenn vom alten Eichbaume der klagende Ruf der Eule tönte: dann schmiegte sich das bebende Kind des Randdörfers schutzsuchend an seine Mutter, und beide dachten schaudernd an den Hexenkessel dort unten und an den wilden Jäger, der mit seiner kläffenden Meute dahinstürmt. *) Horste nannte man die kleinen schilf- und rohrbedcckten Hügel, die aus dem Wasser hervorragten. — 7 — Ein stiller Fischer. (Aus alten Tagen.) Es war im Jahre 1348. Draußen in den märkischen Heiden tobte der Kampf zwischen dem Bayern Ludwig, Mark- grafen von Brandenburg, und den: Askanier Waldemar, von dem gesagt wird, er sei nicht der große Waldemar, sondern der Müllergesell Jakob Rehbock aus Genthin gewesen. Dieser blutige Streit zieht wohl die Oderstädte Frankfurt und Wriezen in Mitleidenschaft, aber das dahinterliegende Bruch bleibt davon unberührt. Niemand kümmert sich um diese armselige Wildnis, und auch dem stillen Brücher, der träumerisch seiner eintönigen Beschäftigung nachgeht, scheint es gleichgültig zu sein, wer Herr der Situation da draußen in der ihm unbekannten Welt bleibt. Etwa eine Stunde nord- östlich von Wriezen, brucheinwärts, erhebt sich ein kleiner Hügel aus der weiten Wasserflut. Er umfaßt uur wenige Morgen. Auf dieser Anhöhe erheben sich einige kleine Lehm- hütten, die mit Schilf gedeckt sind. Es ist die alte Wenden- siedlung Zteetz. Ein niedriger Wall, der sich schützend um den stillen Horst zieht, verleiht ihm den Anblick einer kleinen Festung. Auf diesem Walle blühen Sonnenblumen, und gelbe Kürbisse schauen unter großen Blättern glänzend her-' vor. An der Außenseite des Walles sehen wir einige Kähne an einen Pfahl gebunden. Aus der niedrigen Tür der einen Hütte, an welcher allerlei Netze und Fischergeräte hängen, treten zwei Personen; es ist der alte Fischer Michel Bocho mit seinem 13jährigen Knaben Wido. Der Alte ist stark- knochig gebaut; auf feinem strohgelben Haar trägt er eine Mütze, aus dem Fell eines Otters gearbeitet. Seine lange Jacke, aus grauem Leinen gefertigt, wird durch einen Strick zusammengehalten. Träumerisch schweifen seine wafserblauen Augen über die monotone Flut. Ter Junge gleicht dein Alten aufs Haar; nur ist sein struppiges Haupt unbedeckt. In seiner Hand hält er einen Bogen, während aus einer Tasche seines Kamisols einige hölzerne Bolzen mit scharfen Spitzen schauen. — 8 — Der Vater greift nach einem Ruder, das neben der Hütte steht, und schweigend gehen sie hinab nach den Kähnen, von denen sie einen losbinden und besteigen. Lautlos gleitet der Nachen über die stille Flut. Hier und dort ragen Erlen- stümpfe und Weidenbäume aus dem Wasser hervor. Graue Krähen fliegen scheu und krächzend von einem Baum zun: andern. Die Sonne steigt langsam hinter die westlichen Berge, und läßt Flut und Himmel wie im Feuer erglühen. Ein leiser Windhauch kräuselt zuweilen die unbewegliche Wasser- fläche und fährt klagend durch das schwanke Rohr, aus welchen: noch der hohle Ruf der Dommel tönt. Hin und wieder unterbricht Bocho seine Fahrt und legt Bolljacken (Reusen), die er am Morgen gehoben, ins Wasser. So kommen sie an einen nordwärts gelegenen kleinen Hügel, der mit wildem Gestrüpp bedeckt ist. An seinem Rande steht einsam ein Reiher mit eingezogenem Halse und lauernden: Blick, ein Fischlein zun: Nachtmahl erspähend. Hurtig legt der kleine Wido den Bolzen auf die gespannte Sehne; die- selbe schivirrt, und der böse Räuber sinkt getroffen ins Gras. Schnell springt der Bube aus dem Kahn, ergreift die Beute und erklinnnt wieder den Nachen, den der Alte nunmehr südwärts steuert. Fernen Glockenklang tragen die Abendlüfte an ihr Ohr. In der St. Marienkirche in Wriezen wird zur Vesper geläutet. Vater und Sohn falten fromm die Hände und murmeln andächtig ihr „.Ave marie". Noch vor Eintritt der Finsternis erreichen sie ihr dürftiges Heim. H. Die Urbarmachung des Kderbruches. Erste Entwässerungsversuche der Hohenzollern. Eine außerordentlich wirksame Kolonisation des Oder- bruches nahmen die Hohenzollern vor. Diese Fürsten waren von jeher darauf bedacht, ihr Volk, das unter schrecklichen Kriegen gelitten, zu mehren, seinen Wohlstand zu fördern und damit des Staates Macht zu stärken. Schon die b r a n d e n b u r g i s ch e n K u r f ü r st e n des 16. und 17. Jahrhunderts richteten ihr Augenmerk auf den südlichen Teil des Oderbruches, das sogenannte Hohe Bruch, und suchten diesen durch Deichaufschüttungen bei Lebus und Frankfurt vor den Fluten der Oder zu sichern. Aus dem trocken gewordenen Boden wurden die kurmärkischen Aemter Zellin, Kienitz, Wollup, Bleyen, Friedrichsaue, Golzow und Sachsendorf errichtet. Neben diesen entstanden die Ritter- güter Gusow, Gorgast und Tucheband. Zu den genannten Aemtern gehörten die nicht unbedeutenden Dörfer Letschin, Ortwig, Neuendors, Zechin, Kienitz, Genschmar, Golzow, Manschnow, Rathstock u. a. m. (Während im Jahre 1764 auf dem Gebiet des Amtes Wollup die neuen Spinnerdörfer Beiersberg, Langsow, Leh- mannshösel, Gerickensberg, Rehfeld, Shdowswiese und Sophienthal errichtet wurden, erfolgte der Abbau *) der zum Amte Zellin gehörenden Vorwerke Wilhelmsaue, Posedin und Solikante in den Jahren 1793/94.) *) Diese Austeilung der Amtsvorwerke wurde unter Leitung des Kammerrats Noeldechen vorgenommeu. — 10 Die ersten Oherdämme waren sehr mangelhaft und wurden bald von dem weidenden Vieh niedergctreten und vom Hochwasser hinweggespült. Nachdem Friedrich Wilhelm l. (1713—1740) unter dem 30. Dezember 1716 eine Deich- und Uferordnung erlassen hatte, bildete sich im Jahre 1717 ein Deichverband, der die Strecke von Lebus bis Zellin durch neue Dämme schützte. Diese waren 12 Fuß hoch und in der Krone 12 Fuß breit. Die zu ihrer Herstellung und Unterhaltung erforderliche Erde mußte dem Vorlande, besonders dem Calenziger Werder, entnommen werden. Zur Beaufsichtigung jener Schutzanlagen wurden ein Deichhauptmann und zwei Deichinspektoren an- gestellt. Diese Maßnahmen aber hatten nicht den erhofften Erfolg; denn durch den Rückstau des Wassers aus dem Niederbruche wurden die Ländereien des Oberbruches gar häufig überschwemmt. Diesem Uebelstande wurde erst in der Folge durch die Entwässerung des Niederbruches abgeholfen. Als die große Flut des Jahres 1736 sämtliche Schutz- dämme zerstört hatte, schritt Friedrich Wilhelm l. dazu, das ganze Oderbruch, das sich von Lebus bis Hohensaathen erstreckt und einen Flächenraum von etwa 12 Quadratmeilen einnimmt, zu entwässern. Für dieses große Werk suchte er den berühmten Holländer v. Haerlem zu gewinnen. Dieser, ein großer, stattlicher Herr, ließ sich zunächst vom König die schriftliche Versicherung geben, daß er vor einer gewaltsamen Anwerbung für das preußische Heer sicher sein sollte. Als ihm diese Zusicherung gegeben war, trat er in preußische Dienste und arbeitete dein König Pläne für eine Trocken- legung des Bruches aus. Diese Pläne wiesen die Ausführ- barkeit des Unternehmens nach, aber auch seine große Kost- spieligkeit. Friedrich Wilhelm 1. hielt sich für dieses große Werk jedoch für zu alt, vielleicht war es ihm auch zu kost- spielig; er versah die Entwürfe mit dem Vermerk: „Für meinen Sohn Friedrich!" und legte sie einstweilen zurück. — 11 — Vorarbeiten zum großen Werk. Friedrich der Große (1740—1786) ergriff sofort nach seiner Thronbesteigung die ihm vom Vater überkommene Aufgabe. Schon im Jahre 1746 ernannte er eine besondere „Oderbaukommission", die aus dem Kriegsrat v. Haerlem, dem Kammerdirektor v. Schmettau, dem Jngenieur-Hauptmann Petri, dem Herrn v. Baggerow und dem Mathematiker Professor Euler bestand. Präsident dieser Kommission war der Staatsminister v. Marschall, dem das Gut Ranft ge- hörte, und der hier schon einige Meliorationsversuche mit gutem Erfolg unternommen hatte. Diese Kommission hatte die Aufgabe, vor allem einen genauen Plan für das Unternehmen auszuarbeiten. Zu diesem Zwecke bereisten Schmettau, Haerlem und Euler am 8. und 9. Juli 1747 von Zellin aus das ganze Gebiet zu Kahn und nahmen überall Messungen vor. Diese Ermittelungen hatten folgendes Resultat: UmdasOderbruch trocken zu legen, muß 1. der Oder ein kürzerer, schnellerer Ab- fluß geschaffen, 2. das Flußbett mit starken Deichen ein- gefaßt werden u n d m ü s s e n 3. Abzugsgräben das Binnenwasser ab- leiten. Dem König gefiel dieser Plan, und sofort ordnete er dessen Ausführung an. Die Leitung der Entwässerungs- arbeiten, wie auch die spätere Besiedlung legte er in die Hände des Obersten v. Retzow, nachmaligen Kommandanten von Potsdam. Gegner der Urbarmachung. Friedrich 11. scheint Eulers Gutachten auch verlangt zu haben, um mit dem Ausspruch dieser großen Autorität die Schwierigkeiten zu beseitigen, welche Markgraf — 12 Karl v. Schwedt, der Herrenmeister des Johanniter- ordens, gegen das Projekt erhoben hatte. Dieser Orden besaß im und am Oderbruche mehrere Ortschaften, von denen die beiden Dörfer Güstebiese und Zäckerick von dem zu erbauenden Kanal unmittelbar betroffen wurden. Nach einer ihm seitens des Markgrafen zugegangenen Beschwerde antwortete Friedrich, wie folgt: „Durchlauchtigster Fürst! Freundlich lieber Vetter! Nachdem ich mit mehreren ersehen, was Ew. Liebden in Dero Schreiben vom 26. May von den Beschwerden Dero Ordensdorff Güstebiese und Zäkkerick bei Gelegenheit des dort gefertigten Oder-Canals anzeigen wollen; so erteile ich Deroselben darauf in Antwort: Wie die von gemeldeten Ordensdorffern verlangte remission in ihren Creis praestandis noch viel zu früh von ihnen gesucht werden; Ew. Liebden auch selbst einsehen werden, wie dergleichen Sache nicht auf ein einseitiges Anzeigen einer selbst in- teressirten Gemeinde desidiret werden kann, sondern zu- vorderst gehörig untersuchet und ausgemachet werden nmß, wieweit gedachte Dorffer in ihren angeblichen griefs ge- gründet, auch zu der prätendirter Massen Verlohrenen Fischerey berechtigt gewesen sind und wie hoch alsdann der angeblich erlittene Schaden zu estimiren sein würde. Ew. Liebden werden demnach sich dieser Sache halber annoch zu gedulden belieben, bis die Zeit herankommen wird, da alles dieses in die Richte gebracht, auch überleget werden kann, welchergestalt den durch vorgedachte Gemeinen be- sorgter Schaden bey Durchstechung des neuen Canals vor- gebeuget werden kann. Ich bin Ew. Liebden freundwilliger Vetter Potsdam, den 9. Juny 1762. An des Markgrafen Carl Hoheit." Friedrich. — 13 Auch einige Oderdörfer wandten sich „in größter De- und Wehmut allerunterthänigst und fußfälligst als ein höchst er- schrockenes und den letzten Streich befürchtendes Heer" an den König mit der Bitte, von der Trockenlegung des Bruches absehen zu wollen. Der König aber antwortete ihnen kurz, sie sollten erst die Folgen abwarten und dann mit ihren Beschwerden kommen. Später haben die alten Briicher ihren Unverstand erkannt und erklärt: „Gut, daß der alte Fritz besser wußte, was uns gut war, als wir!" Ein kürzerer Abfluß. Nach Vollendung der notwendigen Vorarbeiten wurde rüstig au die Ausführung des großen Planes geschritten. Zuerst wurde für die Oder von Güstebiese bis Hohensaathen unter Durchstechung des sogenannten krummen Ortes, einer sandigen Landzunge der neumärkischen Höhen bei Neu-GIietzen, ein neues 2Vs Meilen langes Bett gegraben, das den Lauf des Flusses um 3Vz Meilen verkürzte. Dieser neue Graben, Petrikanal oder neue Oder genannt, war anfangs nur 8 Ruten breit. Schnell jedoch erweiterten die Wassergewalten das neue Bett bis zu einer Breite von 60—70 Ruten. Die Anwohner des Baugeländes fürchteten, brotlos zu werden, falls ihre Fischereien aufhören würden, und legten den Unternehmern beim Bau des Kanals allerlei Schwierig- keiten in den Weg, verweigerten ihre Mitarbeit, ja sogar ihre Kähne zur Bewegung des Erdbodens, sodaß wiederholt das General-Direktorium in Berlin warnend und strafend ein- greifen mußte. Weit über tausend Menschen waren an diesem großen Werke tätig. Fehlten Arbeiter, so wurden Soldaten ein- gestellt. Am 21. Mai 1753 waren die Kanalarbeiten beendet, und am 2. Juli, vormittags 11 Uhr, erfolgte der Durchstich des letzten Sperrdamnies bei Güstebiese. Die Fluten wählten nun den weit kürzeren Weg, und der Wasserspiegel der alten - 14 — Oder begann sofort zu sinken. Letztere konnte nun das Binnenwasser a-ufnehmen und abführen, wodurch das von ihm bisher bedeckte Land zum Vorschein kam, auf welches Luft und Sonne vielleicht zum ersten Male einwirkten. Dämme und Deiche. Vor allem kam es nun darauf an, der Oder ein festes Bett anzuweisen, sie beiderseitig zu bedeichen. Der frühere linksseitige Oderdamm, der ja schon bis Zellin reichte wurde befestigt und bis Oderberg in einer Länge von 6 Meilen, der rechtsseitige von Güstebiese bis Neu-Tornow in einer Länge von 2% Meilen fortgeführt. Die neue Oder brauchte nur auf der linken Seite bewallt zu werden, da sie auf der rechten durch die neumärkischen Höhen in Schranken gehalten wird. Dieser Damm schließt sich Güstebiese gegen- über an den rechten alten Oderdamm an und endigt am krummen Ort bei Neu-Glietzen; er ist etwa 2V± Meilen lang und heißt H a u p t d a m m. Dieser Hauptdamm wurde bis zum Jahre 1763 fertig gestellt. Er befand sich anfangs jedoch, was Höhe und Festig- keit anbelangt, in einem ziemlich dürftigen Zustand. Fort- während fanden Versenkungen statt, und häufig schlugen die immer heftiger werdenden Wogen über seine Krone. Eine ernste Gefahr für seine Existenz brachten die großen Eis- verstopfungen im Winter 1763/54. (Damals wurde auch schon ein Teil der neuen Kanalbrücke bei Zäckerick von den Fluten hinweggerissen. Die Wutzener Brücke blieb in diesem Jahre vor Schaden bewahrt.) Der Bau der alten Oder- dämme — S o m m e r d e i ch e genannt — ging langsam von statten. Sie wurden erst im Jahre 1758 fertig. Während der Hauptdamm dem Hochwasser zähen Wider- stand entgegensetzte, wurden die Sommerdämme an verschie- denen Stellen durchbrochen. Eine im Frühjahr 1764 von Haerlem angestellte Untersuchung führte jedoch zu dem Ergebnis, daß die Dammbrüche „nicht allein von der Force — 15 — des Wassers verursacht worden wären, sondern daß boshafte, vielleicht wegen der Fischerei interessirte Brücher solche Dämme an drei Stellen heimlich durchstochen und dadurch den Umwallungen großes Unglück zugefügt hätten." Der König geriet über solche Bosheit in großen Zorn und erließ am 28. Juni 1754 ein in großen Lettern gedrucktes „E d i k t", das überall warnend veröffentlicht wurde. In dieser Ver- ordnung wurde angedroht, daß jedem „betroffenen Verbrecher ohne eine Form der Prozeß gemacht werden und selbiger als Strafe, ohne Begnadigung zu erhoffen, auf zehn Jahre zur Karre in eine Festung gebracht, auch befundenen Umständen nach sogar am Leben bestraft werden soll." Bei großem Wasser mußten zuverlässige Leute zu Fuß und zu Pferde mit geladenen! Geivehr Wache halten, Tag und Nacht patrouillieren und auf böse Menschen fahnden. Die ersten D a m m a u f s e hr: r waren: 1. Der Brücken Wärter Andreas Sixtus für die Strecke von Hohenwutzen bis Hohensaathen, 2. der Kondukteur Wiede mann in Zäckerick für den Hauptdamm von Glichen bis Güstebiese und den rechten alten Oderdamm bis Reetz, 3. der Kondukteur Reinhardt für den Sommerdeich von Reetz bis Ranft, 4. der Bauschreiber Rayger für den Haupt- damm von Zellin bis Güstebiese und den linken alten Oderdamm bis Alt-Wriezen und 5. der Kondukteur Bohne für den Sommer- deich von Alt-Wriezen bis zum Prawitzgraben. Die Kanal- und Hauptdamniarbeiten waren den Unter- nehmern Gebrüder Rottengatter in Neiße iibertragen worden. Diese erhielten für die ausgeführte Arbeit 84 974 Taler. Für die Unterhaltung der fertig gestellten Dämme mußten die neuen Landeigentümer sorgen und zwar der- — 16 — gestalt, daß auf 5 Morgen Bruchland immer 1 laufende Rute der Bewallung kam. Später wurde diese Verpflichtung durch das Dammrutengeld abgelöst. Die Obliegenheiten der Deichunterhaltenden und die Pflichten der Deichbeamten wurden geregelt durch die „Königliche P r e u ß i s ch e T e i ch- unb llfei» a u ch Graben- und W e g e - O r d n u n g in de in auf beiden Seiten der Oderzivischen Z e l l i n und Oderberg b e l e g e n e n neu bewalleten und urbar gemachten Nieder- B r u ch. Berlin, den 23. Januarii 1769." Diese Verordnung hat im Auszug folgenden Wortlaut: „Wir F r i d e r i ch, von Gottes Gnaden, König in Preußen, Marggraf zu Brandenburg rc. rc. Urkunden hiermit: Nachdem Wir das zwischen Zellin und Oderberg, auf beyden Seiten der Oder, über Fünf Meilen in die Länge sich erstreckende Nieder-Bruch, welches wegen des ehemaligen sehr krummen Laufs der Oder, unter beständiger Ueberschwemmung gelegen, aus einem Sumpf von ganz unerheblicher Nutzbarkeit, in ein fruchtbares Land zu verwandeln bedacht gewesen, und zu dem Ende, um theils das Wasser abzuleiten, theils um die abzu- trocknende, importante Gegend für künftigen beständigen Ueberschwemmungen zu sichern, denen Krümmen des Oder- strohms einen neuen Gang geben, diesen Canal, und wo selbiger aufhöret, den alten Oder-Strohm von beyden Seiten mit tüchtigen Dännnen einschließen, des Behufs die ehedem aus der Oder gegangenen viele Arme und Lacken coupiren, verschiedene Haupt-Graben zur Abführung des Binnenwassers niachen und veranstalten lassen.... Gleich- wohl aber diese ungemeine Landes-Verbesserung ohne ge- hörige Unterhaltung wieder in Verfall gerathen würde, — 17 — und es die Billigkeit erfordert, das; nachdem Wir ans landesväterlicher Hulde solche mit sehr schweren Kosten, ohne einigen Beytrag Unserer getreuen Vasallen und Unterthanen zu Stande gebracht, diejenigen, die solchen Vortheil genießen, nach Verhältniß ihrer Grund-Stücke im Nicder-Vruch die angelegten wichtigen Werke beständig unterhalten, und deren Solidität immer weiter vermehren. Damit Unsere Landesväterliche Intention desto zuverlässiger erreicht werde, so gebiethen und setzen Wir durch nachfolgende Teich-, Ufer-, Graben- und Wege-Ordnung fest, wie es wegen Unterhaltung der Teiche (Deiche), Graben und Wege im Nieder-Bruch, der Beyträge dazu, der Teich- und Graben- Schau, und wegen alles dessen, was dem anhängig, ferner- hin eingerichtet und gehalten werden soll. Caput. I. Wer die Teiche unterhalten soll. Alle im Nieder-Bruch belegene Interessenten sollen die 21 455 Ruthen, 2 Fuß betragende Dämme nach Pro- portion ihrer, in ernandtem Bruche belegenen Grund-Stücke übernehmen, und nach Anordnung der Teich-Schau jeder- zeit in gehörigem guten Stande erhalten. Caput. II. Wie die Interessenten quotisirt und zu der Teich-Arbeit und Unterhaltung angeleget werden sollen. Wir haben bey der Quotisation zu beobachten besohlen, daß darunter Niemanden zu nahe geschehen, sondern die möglichste Gleichheit ausgemittelt werden soll, auch dieser- wegen diejeniegen Pertinentzien, so durch diese Bewallung profitiren, und im Ober-Bruch belegen, bey dieser Teich- Rolle mit beytragen sollen. Solchemnach ist nach Verhältnis der sämtlichen Morgen- Zahl der hieher gehörenden Bruch-Länderehen gegen die — 18 — gantze Damm-Ruthen-Zahl die Repartition zu dieser neuen Teich-Rolle, dergestalt ausgefallen und angefertigt, daß auf Fünf Morgen Bruch-Pertinentzien, bis unter- halb Freyenwalde Eine Ruthe Damm, von da an bis zu Ende der Bewallung... von Fünf ein halben bis Zehen Morgen auf eine Ruthe gerechnet, zu unterhalten, und in gedachter nachstehenden Teich-Rolle zu mehrerer Deutlichkeit eines jeden Interessenten Morgen- Zahl an Bruchländereyen sowohl, als die davon zu unter- haltende Anzahl Ruthen des Oder-Dammes angesetzet worden; wornach von besagten Oder-Teichen oder Dämmen im Niederbruch übernehmen und im Stande erhalten, wie folget: (Es werden jetzt sämtliche Besitzer von 109 674 Morgen, 177 Quadrat-Ruten Bruchländereien, welche 21 455 Ruten 2 Fuß Dämme zu unterhalten haben, namentlich ans- geführt.) Caput. Hl. Wie die Teiche oder Dämme repariret, verbessert und unterhalten werden sollen. Die Teiche sollen überall auf beyden Seiten der Oder, oben ans 10 Fuß breit auf der Crone, und an ben Canal von Güstebüse bis Neu-Glietzen 16 Fuß breit, in Absicht der Höhe aber so angerichtet und unterhalten werden, daß soviel die Dämme auf beyden Seiten der Alten-Oder betrift, der Damm bey Beauregard, am neuen Canal hingegen der Damm auf den Güstebüsischen- und Alt-Cüstrinchener Revier, zum Maß genommen, und nach Verhältniß des Nivellements, die Höhe der weiter fortgehenden Dämme continuiren, folglich an denjenigen Stellen, wo selbige noch nicht die erwähnte Höhe und Breite haben, dergestalt, jedoch um die Arbeit nicht mit einem mahl zu erschweren, bis zu besagter Höhe und Breite, jährlich um einen Fuß hoch und breit von den Teich-Interessenten erhöhet und bearbeitet. — 19 — auch in solcher Stärke und Höhe beständig erhalten werden sollen, damit das große Wasser niemahlen darüber schlagen und Durch-Brüche verursachen könne. Desgleichen sollen die Teiche gehörig dossiret, auch die erforderliche Erde allemahl vom Vorlande, jedoch überall in einer Entfernung von 4 Ruthen vom Fuß des Dammes genommen werden-, wo aber Wasserseits aus vorgeschriebene Weise keine Erde zu haben, ist solche von der Land-Seite, jedoch nicht näher als 2 Ruthen vom Fuß des Dammes zu nehmen, auch sollen auf denen Dämmen und deren Dossirung keine Bäume und Wehden gepflanzet werden, wohl aber auf jeder Seite am Fuß der Dämme eine Reihe Wehden, und 12 Fuß davon noch eine Reihe, wie denn auch gar kein Vieh, am wenigsten aber Schweine an und über die Dämme zu treiben sind, weil solche dadurch sehr zertreten, durchwühlet und zu schänden gemacht werden. Es sollen auch die Dämme nicht befahren werden, es sei denn bey impassablen Wegen, jedoch nach vorgängiger Erlaubniß des Teich-Hauptmanns. Caput. IV. Von Befestigungen der Ufer und Dämme, so vom Oder- strohm angegriffen werden. Da durch den Anfall und die Rapidität des Strohmes an solchen Stellen, wo derselbe gegen die daran belegenen Ufer und Dämme arbeitet, selbige sehr mitgenommen und abgespület werden, so verordnen Wir, daß dergleichen Ufer mit Packwcrcken, Flügeln und anderen Wercken versehen werden sollen. Weil auch zur Anlegung der Pack-Wercke vieles Reiß- Holtz erfordert wird, so hat die Teich-Schau dafür zu sorgen, daß sobald in dem Oder-Strohm oder dem großen Canal sich Sand-Felder ansetzen, solche mit Werder-Weiden bepflanzet, und am festen Ufer enclaviret, und beständig zum Buschwachs vom Vieh geschonet werden. — 20 — Caput. V. Handelt von den Teich-Bedienten und deren Function. Im letzten Kapitel der Ordnung werden die Strafen für Uebertretungen der Vorschriften fest- gesetzt. „Die hier benandte Strafen sollen, wenn die Verbrecher sich nicht zur bestimmten Zeit damit einfinden, durch die Teich- und Damm-Meister mit 6 Gr. Executions- Gebühren für jeden Executions-Tag, und dafern die Exe- cution durch dieselben nicht von Effect seyn solte, durch Militärische Execution beigetrieben, und dem Teich-Rent- meister zur Berechnung abgeliefert werden. Uebrigens sollen die Unterthanen, Hausleute und Dienst-Bothen überall sowohl in Teich- als in Graben- Sachen, statt der verordneten Geldstrafen, mit verhältniß- mäßiger Gefängniß-Strafe halb bey Wasser und Brodt belegt, und die Strafen öffentlich vollstreckt werden. Solches befehlen Wir hierdurch gnädig und ernstlich, und wollen demnach, daß diese Teich-, Ufer- auch Wege- und Graben- Ordnung in jeder Bruch-Gemeinde jährlich einmahl den Sonntag vor Michaelis von Schulzen und Gerichten ver- lesen und die Widersetzenden, ohne Ansehen der Person, in die geordnete Strafe genommen, und wenn nötig, mit Militärischer Execution zu ihrer Schuldigkeit angehalten werden. So geschehen und gegeben zu Berliu, den 23. Januarii 1769. (L. S.) Friedri ch. v. Massow. v. Blumentha l." An der Spitze der gesamten Deichverwaltung stand der D e i ch h a u p t m a n n S t r u v e in Wriezen. Deich- r e n t m e i ft e r war der Ziesemeister M a t t h e s eben- daselbst. Das ganze Niederbruch war in zwei Deichinspcktions- bezirke eingeteilt. Die Verwaltung des linksseitigen alten 21 — Oder-Dammes lag in den Händen des D e i ch i n s p e k t o r s FriedrichKlenke. Unter ihm waren 3 Dammei st er tätig: 1. Joachim Russe in Ortwig, 2. Friedrich Sasse in Wriezen, 3. der Schulze Mielenz in Reu-Kietz bei Freienwalde. Der erste D e i ch i n s p e k t o r für die beiden Jnnen- dämme war der Bauinspektor C h r i st i a n i auf Friedrichs- hof. Unter ihm standen ebenfalls 3 D a m m e i st e r: 1. Sixtus in Reu-Glietzen, 2. Carl Steinkopf in Poulaillier, 3. Fr. Rietz in Alt-Wriezen. Von dem Dammeister C. Steinkopf wird berichtet, das; er 1800 im Alter von 91 Jahren gestorben und seine 38jährige Tochter Marie Elisabeth 1777 in der Oder ertrunken sei. Sein Nachfolger war sein Schwiegersohn Martin Krüger. Brücken und Fähren. Ueber die alte Oder wurde bei Wriezen eine hölzerne Brücke gebaut, außerdem vermittelten 7 Fähren den Verkehr und zwav bei: Karlsbiese, Kerstenbruch, Wriezen, Gaul, Alt- Ranft, Freienwalde und Oderberg. Die Freienwalder Fähre, die vom Fährkrug aus betrieben wurde, hat bis zum Jahre 1820 existiert. Dann wurde sie durch eine hölzerne Brück«, ersetzt. Den Verkehr über die neue Oder vermittelten drei Fähren und zwei lange Holzbrllcken: eine bei Zäckerick und eine bei Hohenwutzen. Jede kostete etwa 11 000 Taler. Während letztere schon im Jahre 1770 zusammenstürzte, wurde erstere bei dem großen Dammbruch 1785 von den gewaltigen Fluten hinweggerissen. Für den Verkehr über die Zäckericker Brücke galt nach- stehende Kgl. Verordnung: 22 „Avertisse m c n t für alle und jede, so die zwischen Alt-Lietzegöricke und Zäckerick über den Oderkanal erbauten Brücken passiren und was dieselben davor zu deren Unterhaltung zu erlegen haben. Da Se. Kgl. Majestät in Preußen pp. unser Aller- gnädigster Herr zur Communication der, auf Neumärkischcr Seite belegenen Höhe, mit denen zwischen den: Oderkanal und der alten Oder vorhandenen alten Bruch und den nuen Kolonistendörfern diese Brücken nebst dem Passage- damm von dem Berge ab bis zum Hauptdamm, auch über diesen bis zum Holzgraben nebst den zur Erhaltung be- sagter Brücken, davor unumgänglich erforderlichen Eis- böcken in anno 1735 mit schweren Kosten erbauen, auch da ernanndte Brücke nachher sehr ruiniret und inpassable geworden, solche gleichergestalt im vorigen Jahre wieder gehörig repariren lassen, aber auch nötig ist, daß, weil diese Brücken eine beständige gute Unterhaltung erfordern, alle und jede, so solche passiren, wissen mögen, was sie deshalb im Brück-Haus an Brück-Geld zu erlegen, und wie sie besagte Brücken zu passiren haben; als wird hiermit zu jeder- manns Wissenschaft und Achtung bekannt gemacht, daß l.—5. pp. — Was hiernächst 6. die am Bruch zwischen den Kanal und der alten Oder angesetzten Kgl. Kolonisten betrifft, so sollen dieselben, da sie ohnedem gegen die disseits der Oder angcsetzte Kolo- nisten ungleich mehr onerirt sind, weil sie aus ihrem jenseitigen Bruche, ohne jedesmaliger Erlegung des Brück- und Fehr-Geldes nicht zu gelangen vermögen, auf der- gleichen aber die disseitigen nichts zu verwenden nötig haben, wenn sie sich zur Erbauung ihrer neuen Kirchen und Predigerhäuser, oder zu ihren eigenen Häusern, Scheuern oder Ställen, das erforderliche Bau-Holz, auch Feld- und Mauersteine und Lehm von der Höhe anfahren, — 23 — oder auch zu ihrer Wirtschaft das unentgeltliche Brenn- holz aus der Königlichen Hcyde kaufen oder holen, damit diese Brücken frey passiren. Wenn sie aber sonst ihrer Hantierung wegen, über solche mit Pferden, Vieh oder zu Fuß zu thun haben, müssen sie davor gleich andern das völlige Brücken-Geld im Brück-Hause abführen. Uebrigens soll außer dem 7. Vor alles, was sonst über diese Brücken passiret, das festgesetzte volle Brücken-Geld im Brück-Hause, an den Brück-Aufseher, in Königlichen Münzsorten, sedesmahl erleget werden, als nehmlich: Vor eine Person zu Fuß, männlichen oder weib- lichen Geschlechtes 3 Pfg. Vor ein Pferd, es werde geritten, geführet, los hinüber getrieben, oder wenn es angespannt ist 1 Gr. Vor 1 Ochsen, 1 Kuh, einen 2jährigen Stier, oder Ferse ä Stück 1 Gr. Vor ein saugendes oder jähriges Kalb 6 Pfg. Vor einen Frachtwagen oder dergleichen Karren pro Pferd 2 Gr. Vor ein Schwein ohne Unterschied 4 Pfg. Vor einen Hammel oder Schaf 2 Pfg. 8. u. s. w. Als hat sich hiernach ein jeder zu achten und vor Schaden zu hüten. Signatum Berlin, den 23. Dezeinber 1769. (1-. S.) Friedrich, v. Massow, v. Blumenthal, v. Derschau." — 24 — Entwässerung. Das Binnenwasser des Hohen Bruches zwischen Lebus und Zellin nahm anfangs der Faule See bei Wriezen auf. Nachdem dieser unter einem Kostenaufwand von 23 049 Talern zugeschüttet worden war, wurde es durch den sogenannten Landgraben gesammelt und in den Lieber See geleitet. Bei niedrigem Wasserstande konnte der Land- graben durch eine Schleuse unterhalb Wriezens in die alte Oder geleitet werden. Im Jahre 1780 wurde diese Schleuse durch die Gewalten der Fluten zerstört. Diese Verbindung wurde nun gänzlich zugeschüttet; 1820 aber wurde unterhalb dieses Ortes eine neue Schleuse mit einem Kostenaufwand von 26 000 Talern erbaut. Dieser Landgraben dient heute der Vorflut unterhalb Wriezens und wurde 1894 durch das Wolfsloch bei Bralitz in die alte Oder geleitet. Der bedeutendste Abzugsgraben für das N i e d e r b r u ch ist der Strom. Dieser beginnt bei Neu- Lietzegöricke, nimmt seinen Lauf an Wustrow, Alt-Reetz und Neu-Rüdnitz vorbei. Hier vereinigt er sich mit der Mucker. Anfänglich wurde dieses Binnenwasser durch die sogenannte Abzugsarche bei Neu-Glietzen in die Oder abgeführt. Dieses Deichsiel, welches durch den Dammbruch von 1786 zerstört worden war, wurde 1787 erneuert. Es war jetzt ganz massiv, 28 Fuß breit und mit fünf Durchlaßöffnungen versehen. Nachdem 1821 bei Neu-Tornow eine neue Schleuse erbaut worden war, wurde die Arche bei Neu-Glietzen zugeschüttet und der Strom durch jene Schleuse in die alte Oder geleitet. Dieser Abzugsgraben stand auch mit dem Krebssee bei Hohen- wutzen in Verbindung. Das alte Bett des Verbindungs- kanals ist noch heute vorhanden; es gcht durch den sogenannten Wutzener Sand und kreuzt bei Konradsbrück die Zehdener Chaussee. Sämtliches Binnenwasser des Niederbruches sammelte sich also bei dein Dorfe Neu-Glietzen an, um alsdann in die — 25 — Oder geleitet zu werden. Die natürliche Folge davon war, daß obige Feldmark von Anfang an viel unter dem Wasser zu leiden gehabt hat. Im Jahre 1765 machte der weit- blickende Kriegsrat v. Haerlem schon den Vorschlag, das sich ansammelnde Binnenwasser durch „Mühlen nach holländischer Art" abzuleiten. Was v. Haerlem im kleinen andeutete, wurde 130 Jahre später durch Erbauung des Neu-Tornower Schöpfwerkes im großen ausgeführt. Die Anlage sämtlicher Abzugsgräben hat 17 564 Taler gekostet. Rodung. Nach Trockenlegung des Bodens schritt man dazu, Gestrüpp und Buschwerk, das sich stellenweise in großer Menge vorfand, abzuroden und auf große Haufen zu schaffen. Dieses Gesträuch wurde nun von allerlei wildem Getier, das da kreucht und fleugt, als günstiger Schlupfwinkel aus- gesucht. Nachdem das aufgehäufte Gehölz ausgetrocknet war, wurde es in Brand gesteckt. Da bot sich nun ein interessantes Schauspiel. Krächzend und schreiend verließen Raben, Elstern, Eulen und Habichte ihre Horste, und in wilden Sprüngen enteilten Iltisse, Marder, Füchse und Wohl gar Wölfe den feindlichen Flammen. Die Rodung des Bruches kostete den König 34 367 Taler. In jenen Zeiten glich das Oderbruch einem großen Ameisen- haufen, in dem überall emsig gearbeitet wurde. Es wurden Dämme ausgebaut, Brücken repariert, Sümpfe trocken gelegt, Aecker gerodet, Gräben gezogen und mit Weiden bepflanzt, Dorfanlagen geschaffen und besiedelt. In der Woche vom 28. 10. bis 2. 11. 1754 waren 1549 Arbeiter in königlichem Lohn tätig. Als aber 1756 der siebenjährige Krieg aus- brach, wurden viele als „Rekruten eingestellt", und die Zahl der Arbeiter schrumpfte erheblich zusammen, sodaß zuweilen nicht mehr als 160 bis 200 Menschen tätig waren, und von — 26 diesen waren noch die meisten neue Ansiedler. Im September 1757 war die Zahl auf 485 Personen gestiegen „Dieser Anwachs von Leuten" hatte seinen Grund darin, daß die um- liegenden Städte und Dörfer eine Anzahl Rekruten zur Kriegsarmee abliefern sollten. Um dem Heeresdienst zu entgehen, hatten sich viele bei der Bewallung beschäftigen lassen und sich „gleichsam im Bruch verstochen gehalten" Mit Recht befürchtete v. Haerlem, daß diese Leute wieder „abgeholet" werden würden. III. Die Besiedlung des Hderöruches. Verteilung des gewonnenen Landes. Nach der Schaffung des Landes fchritt Friedrich H. dazu, dasselbe zu besiedeln. Zunächst galt es, den gewonnenen Boden in gerechter Weise an die in Frage kommenden Interessenten zu verteilen. Da der König die Kosten der Urbarmachung allein trug, so ließ er sich von den Bauern- schaften, Edelleuten, dem Johanniterorden und der Mediat- stadt Wriezen, welche ausgedehnte Wiesen und Fischerei- gebiete im alten Oderbruche besessen hatten, einen Teil des neuen Landes zur Besiedlung abtreten. Die alten Fischer wurden für ihre verloren ge- gangenen Fischereien derart entschädigt, daß ein jeder einen Teil des gewonnenen Ackerbodens erhielt, groß genug, ihm eine sichere Existenz zu gewährleisten. Diese Anteile waren in den verschiedenen alten Ortschaften verschieden. So er- hielten die Fischer von Alt-Reetz jeder 70 Morgen, die von Alt-Wustrow jeder 90 Morgen, die von Groß-Barnim 115 Morgen, die von Alt-Wriezcn 67 Morgen und die von Alt- Eüstrinchen 60 Morgen. Den Rest der alten Dorfländereien benutzte der König zur Gründung neuer Kolonien. — 28 — Nach einem General-Extrakt der Morgenzahl sämtlicher im Oderbruche liegenden Feldmarken vom 12. 5. 1761 ent- fielen auf den Anteil des Königs 64 066 Morgen, *) „ Markgrafen .... 34 043 „ „ Adels 24 045 der Städte ...... 10 800 Summa 132 954 Morgen. Hiervon gehörten 99 497s4 Morgen zur K u r m a r k und der Rest zur N e u m a r k, und zwar entfielen von den in der K u r m a r k gelegenen Pertinenzien auf den Anteil des Königs.. 45 019 Morgen, 73 Ruten, „ Markgrafen. 21 116 „ 162 „ Adels... 23 978 „ 126 „ der Städte ... 9 382 „ 42 Von diesen Anteilen sind vor der Bewallung in Kultur gewesen auf dem Gebiet des Königs.. 14 059 Morgen, 96 Ruten, „ Markgrafen. 12 355 „ 67 „ „ Adels ... 9544 „ 95 „ der Städte ... 3411 „ 16 „ *) Das Besitztum des Markgrafen in der Kurmark setzte sich aus folgenden Liegenschaften zusammen: Quappendorf.... . 4 097 Morgen, 124 Ruten, Quilitz , 5 632 20 „ Friedland.... . 4 784 „ 161 „ Metzdorf mit Burgwall. . 1376 140 „ Klein-Barnim.... . 5 206 25 „ *) Juki. Ländereien der alten Fischerdörfer. **) Aehnliche Angaben aber die neumärkischen Pertinenzien habe ich nicht gefunden. 29 - Der Anteil der drei in Betracht kommenden Städte setzte sich folgendermaßen zusammen: Wriezen 2 346 Morgen, 30 Ruten, Oderberg ...... 5 030 „ 122 „ Freienwalde 2 005 „ 70 „ Da auf Veranlassung des Königs das Nieder-Oderbruch vor der Bewachung wiederholt vermessen worden ist, so ist die Richtigkeit der Vorgefundenen Vermessungsangabeu nicht anzuzweifeln. Wenn nun spätere Vermessungen des Bruches geringere Resultate ergeben haben, so läßt sich dieser Unter- schied nur daraus erklären, daß vor der Bewachung der Flußlauf nebst dem Vorlande mit vermessen worden ist, während nach der Bewachung nur das Gebiet links des Hauptdammes zur Vermessung kam. Am 26. 6. 1762 besich- tigte v. Retzow das trocken werdende Bruch und meldete dem König, daß er beabsichtige, 1252 neue Familien dort anzu- siedeln. Friedrich II. war damit einverstanden und befahl am 1. 3. 1753 die Vertreter der interessierten Rittergüter, Städte und des Ordens in das Schloß zu Berlin. Hier er- klärte er ihnen, daß es sein Wille sei, daß auf dem entwässerten Lande nach dem entworfenen Plane 1252 Familien angesetzt iverden sollen, und das diejenigen Edelleute, welchen die Mittel zu den erforderlichen Anlagen fehlten, die gewünschten Kapitalien zu 5 Proz. aus der Landschaft erhalten und in Raten von 1000 und 500 Talern zurückzahlen könnten. Für die Schuldsummen wollte der König persönlich die nötige Bürgschaft übernehmen. Von diesen 1252 Familien sollten 641 auf dem Gebiet des Königs, 190 auf dem Gebiet des Markgrafen, 42 auf dem Gebiet der beiden Städte Wriezen und Oderberg *) und der Rest auf dem Gebiet des Adels angesiedelt werden. Mit dieser Forderung stieß der König beim Adel wie auch bei der Stadt Oderberg auf Schwierigkeiten. *) Freienwalde kam für dir Besiedlung nicht mehr in Betracht. — 30 Zur Beseitigung dieser Hindernisse begab sich v. Retzow ain 6. 5. 1753 nach Neuenhagen, wohin er auch die adligen Grundherren und die in Frage kommenden Bürgermeister geladen hatte. Im dortigen Amtshause wurde folgendes Protokoll ausgeferiigt: Markgraf Karl fotzt »eben 303 alten Familien 100 neue Familien an, der Adel „ „ 179 „ „ 156 „ „ „ der König „ „ 452 „ ,, t23 f/ ff ,, die beiden Städte setzen neben den „ „ 41 „ „ „ Die Angaben dieses Protokolls müssen aber in der Folge nicht bindend gewesen sein. Oderberg wurde von der Ver- pflichtung einer Besiedlung gänzlich entbunden, und es blieben für Wriezen noch 21 Familien übrig. Auf dem Gebiet des Königs wurden in Wirklichkeit nur 703 neue Familien an- gesetzt. Durch mancherlei Konzessionen haben sich später der Markgraf und der Adel bereitfinden lassen, die Zahl der an- zusetzenden Kolonistenfamilien um ein Bedeutendes zu er- höhen. Nach Vollendung der Besiedlung berichtete v. Haerlem nach Berlin, daß neben 653 alten Familien (ohne Wriezen) 1316 neue Familien angesetzt worden seien. *) Es liegt nun kein Grund vor, an der Richtigkeit der Angaben v. Haerleins, der gewiß als Autorität gelten darf, zu zweifeln. Rechnet man von diesen 1315 Familien 703 4- 21 Familien ab, so bleiben für den Markgrafen und den Adel noch 691 Kolo- nistenfamilien übrig. Adlige und Ordens-Etablissements. Aus einem Teil des ihnen verbleibenden Bodens bildeten die adligen Grundherren neue Vorwerke, einen Teil des- selben legten sie zu ihren alten Rittergütern, und den Rest mußten sie mit neuen Kolonisten besetzen. Die neuen Vorwerke wurden vom König mit allen Rechten und Freiheiten der alten Rittergüter ausgestattet. Auch wurde den Edelleuten erlaubt, ihre Kolonien mit Inländern zu besetzen. In der Festsetzung des Kanons sollten sie unein- *) Bis -um Monat Mai 1758 hatte v. Haerlem schon 1100 Kolo- nisten angcsicdelr. — et — geschränkt sein. In der Regel betrug dieser Grundzins später 1 Taler pro Morgen. Ihre Bitte um die Erlaubnis zur Ausübung der hohen Jagd iin Bruche, um freies Bauholz aus den königlichen Forsten und um Befreiung von der künftigen Unterhaltung der Oderdeiche wurde ihnen vom König abgeschlagen. Wie die adligen Grundherren, der Markgraf und die Stadt Wriezen das gewonnene Land verwerteten, zeigen folgende Beispiele: Das alte Bruchdorf Wriezen gehörte zur Zeit der Be- wallung drei Edellenten zu gleichen Teilen. Die alten Fischer mußten ihnen bestiminte Gefälle entrichten, außerdem hatten jene das Recht, eine gewisse Anzahl von Rindern auf die Dorsweide zu bringen. Des hohen Wassers wegen konnten sie aber von diesem Recht nur selten Gebrauch machen. Hierin bestand der ganze Nutzen, den die Edelleute aus diesem Besitztum erzielten. Nach der Entwässerung des Bruches fand es sich, daß die Alt-Wriezener Feldmark 7229 Morgen um- faßte. Davon erhielten die 30 alten Fischer des Dorfes 2734 Morgen. Den Rest von 4495 Morgen verteilten die Edelleute unter sich und gründeten daraus drei große Vorwerke und die drei adligen Dörfer Heinrichsdorf, Beauregard und Kerstenbruch. Die Witwe des Herrn v. Marschall auf Rauft besaß im Bruch ausgedehnte Wiesen, die vor der Bewallung meist unter Wasser lagen und darum fast wertlos waren. Diese unkul- tivierten Wiesen und Sümpfe ivurden durch die Trockenlegung des Bruches in ein fruchtbares Ackerland umgewandelt. Etwa 600 Morgen desselben wurden dem alten Rittergute Ranft zugeteilt. Aus den übrigen Ländereien bildete Frau v. Mar- schall das 900 Morgen große Vorwerk Croustillier unb das 342 Morgen umfassende Kolonistendorf Neu-Ranft, das sie 1766 mit 6 Familien besiedelte. (Die ersten Besitzer der sechs 57 Morgenstellen waren: Jacob Schwabe, Friedrich Hennig, Conrad Schäre, Georg Meyer, Phillip Linge und Michael Wallmuth.) — 32 — Das alte Bruchdorf Reetz gehörte zur Hälfte zur könig- lichen Domäne Butterfelde und zur Hälfte den Gebr. v. Sack auf Vietnitz. Von dem urbargemachten Lande wurden für beide Güter zunächst je 83Vz Morgen reserviert. Die alten Fischer und Freileute bekamen im ganzen 2469 Morgen. Auf dem übrigen Reetzer Gebiet gründeten der König das Kolonistendorf Kgl. Neu-Reetz und die Gebr. v. Sack das Bruchdorf Adlig Neu-Reetz und ein kleines ritterfreies Vor- werk, das heute im Besitz des Herrn Fender ist. Während der Hofrat Mentzel auf Kunersdorf das Bruch- dorf Eichwerder gründete, errichtete der Kammerrat Jeckel die Vorwerke Jeckelsbruch und Wusing. Letzteres lag an der alten Oder und besteht heute nicht mehr. Der Graf v. Kamecke, der zur Feit der Trockenlegung des Bruches die Herrschaft B l i e s d o r f von den Gebr. v. Barfus gekauft hatte, erbaute außer Beauregard die Orte Neu-BIies- dorf und Vevais, die er mit eingewanderten Schweizern be- setzte — ein Zeichen seiner großen Vorliebe für alles Fremd- ländische! Der ungünstigen Wasserverhältnisse wegen war es dem Herrn v. Jena-Cöthcn nicht möglich, zu jener Zeit einen Teil seiner Bruchländereien zu besiedeln. Die Gründung Neu- Falkenbergs, Broichsdorfs und des Vorwerks Amalienhof am Rande des Barnims erfolgte erst im Jahre 1776. Auf dem Gebiet der Ordensamtes G r ü n e b e r g, zu dem die Dörfer Zäckerick und Güstebiese gehörten, gründete der Herrnmeister Karl das Ordensdorf Neu-Güstebiese oder Karls- biese und die beiden Vorwerke Karlshof und Ferdinandshof, welche 1811 in königl. Domänen umgewandelt wurden. An die alten Bewohner von Güstebiese hatte er 4504 Morgen verteilt. Wie schon erwähnt, gehörten dem Markgrafen Karl v. Schwedt die im Bruche gelegenen Güter Quappendorf, Quilitz, Friedland, Metzdorf und Barnim. Auf den Gemarken derselben errichtete er eine Reihe von Dörfern und Vorwerken. flltes Koloniltenhaus aus dem 18. Jahrhundert. g — 33 In den alten Kolonistenakten finden wir die Namen Karls- werder,. Neu-Rosenthal, Karlsfelde, Karlsburg, Karlshof, Karlshorst und Karlsfleiß. Diese Benennungen sind später umgeändert worden. Heute, heißen jene Kolonien Kiehn- werder, Wuschewier, Sietzing, Karlsdorf, Neu-Friedland *), Grube, Neu-Feld und Neu-Rosenthal. Nach des Markgrafen Tode schenkte Friedrich II. diese Besitzungen seinen beiden Günstlingen v. Prittwitz und v. Lest- witz als Lohn für treue Kriegsdienste. Die Stadt W r i e z e n erbaute an der Ranfter Grenze das Dorf Ratsdorf und besetzte es mit 21 Kolonistenfamilien, meist Mecklenburgern. Außer dem zu entrichtenden Kanon waren die adligen Kolonisten ihren Grundherren gegenüber zur Verrichtung von Hand- und Spanndiensten, Hofdicnsten, verpflichtet. Adlige, Ordens- und Ratsdörser. Nr. Name. Gründer. Größe in Morgen. 1. Ncu-Falkenberg v. Jena v. Marschall v. Sack v. Kamecke 1025 342 1401 622 480 1780 844 300 805 913 965 552 438 530 420 2. Neu-Ranft 3. Neu-Reetz 4. Neu-Bliesdorf 5. Bevais 6 Beauregard 7. Heinrichsdorf v. Bardeleben Hofrat Kerstcn Hosrat Mentzel Markgraf Karl 8. Kerstcnbruch 9. Eichwerder 10. Sietzing 11. Wuschewier 12. Kiehnwerder 13. Karlsdors 14. Karlsbicse 15. Raisdorf Johanniterorden Wriezen *) Neu-Friedland wurde später gegründet. — 34 — Adlige und Ordensvorwerke. Nr. Niime. Gründer. Größe in Morgen. I. Amalienhof v. Jena 630 2. Croustillier v. Marschall 900 3. Reetzer Vorwerk v. Sack 150 4. Kavelswerder v. Kamecke — 5. Marienhof v. Bardeleben — 6. Emilienhof tt — 7. Margaretenhos*) ,/ — 8. Kerstenbruch Hofrat Kersten 600 9. Jcckelsbruch Kammerrat Jeckel 322 10. Wusing ,, „ 258 11. Neu-Feld Markgraf Karl 1002 12. Neu-Rosentbal ,, „ 904 13. Grube // n 428 14. Karlshorst n „ —. 15. Karlshof Johanniterorden 1193 16. Ferdinandshof // 707 Königliche Etablissements. Nachdem der König die alten Fischer für ihre verloren gegangenen Fischereien angemessen entschädigt hatte, ver- blieben ihm. noch „22 298 Morgen 138 Ruten Wiesen- und Ackerland, wovon neue Dörfer etabliret, auch alte Dörfer mit Unterthanen vermehret werden sollten." Als einst ein Kommissar in Gegenwart des Königs be- merkte, dass sich aus diesem Lande sechs schöne Domänen machen ließen, sah ihn dieser mit scharfem Blicke an und sagte: „Wäre ich ein Edelmann wie Er, so würde ich auch so denken. Da ich aber König bin, so muß ich Untertanen haben." Allerdings behielt der König aus der Verteilung jenes Landes > Rüsterwerder. — 36 2464 Morgen 108 Ruten für sich zurück und bildete daraus folgende 10 königliche Herrenwiesen: Nr. Name. Grütze. Erster Pächter. 1. Ortwiger Herrenwiese 480 M. 120 R. Oberaintmann Gülle-Zellin. 2. Ncu-Lewiner „ 497 „ - „ Graf v. Kamecke. 3. Neu-Barnimer „ 30 „ „ Müller Fitting. 4. Neu-Trebbiner „ 491 „ 16 „ Gebriiver Jeckel. 5. Alt-Trebbiner „ 106 „ 107 „ Gemeinde Alt-Trebbin. 6. Nen-Wustrower „ *) no „ - „ Kolonist Ewald und Struve. 7. Neu-Rüdnitzer „ **) 206 „ - .. Beamter Struve-Wriezen. 8. Neu-Tornower „ 312 „ 135 „ Oberaintmann Berg-Neuenhagen. 9. Alt-Glietzcner „ 16 „ 90 „ Pfarrer Gallisch Alt-Glictze». 10. Poulaillier „ 214 „ - „ Rodcs und Preutze. Diese Herrenwicsen wurden auf öffentlicher Lizitation verpachtet und zwar anfangs auf 6 Jahre, später auf Lebens- zeit. Der Kanon für die Herrenwiesen betrug in der Regel 1 Taler 12 Gr., später 1 Taler 16 Gr. Die ersten Erbpächter toaren verpflichtet, die nötigen Wirtschaftsgebäude auf eigene Kosten zu errichten. Die Einkünfte aus den Herrenwiesen flössen lange Zeit in eine königl. Rennssionskasse, aus welcher an bedürftige Kolonisten Unterstützungen gewährt und unvor- hergesehene Kassenausfälle gedeckt wurden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts sind sämtliche Herren- wiesen in Privatbesitz übergegangen. Nach der Durchstechung der neuen Oder, 2. 7. 1753,, begann v. Retzow mit dem Bau der königlichen Kolo- n i st e n d ö r f e r. Auf den allmählich trocken werdenden Revieren wurden unterHaerlems und Petris Leitung die neuen Feldmarken abgesteckt, die Grenzen durch breite Gräben und Wege markiert und die Rodung des Landes vorgenommen. Nach einem von Retzow entworfenen Plan wurden dann an geeigneter Stelle die neuen Etablissements errichtet. *) Jetzt Friedrichshof. **) Bienenwcrdcr. — 36 Vorgesehen waren drei Arten von Kolonistenhäusern: 1. große nebst Scheune und Stallung für 90 Morgen Acker und Wiese und Hütung, 10—12 Kühe, 4—6 Jungvieh, 3—4 Pferde, 66 Fuß lang, 36 Fuß tief und 8 Fuß hoch, ä 482 Taler 11 Gr.; 2. mittlere, Haus, Stall und Scheune unter einem Dach, 66' lang, 26' tief, ä 407 Taler 4 Gr.; 3. für 2 kleine Wirte, 48' lang, 26' tief, ä 370 Taler 14 Gr. Die erforderlichen Bauhölzer wurden in den königlichen Forsten an der Drage und Warthe bei Negenthin und Kladow geschlagen, in Flößen nach der Zollbrücke gebracht und von dort aus auf die Bauplätze gefahren. Anfangs wurden nur unbeschnittene Baumstämme zum Bau der Häuser verwendet; auf Haerlems Rat jedoch verarbeitete man später nur starkes und geschnittenes Holz. Die ersten Kolouisten- häuscr waren dürftige Lehmkaten, mit Rohr gedeckt. Der Holzverband war weit, und die Schwellen lagen entweder direkt auf dem feuchten Erdboden oder auf eichenen Pfählen. Tie Folge davon war, daß die Balken schnell in Fäulnis übergingen und die ersten Gebäude dem Ansturm des Wassers und Windes nicht zu trotzen vermochten. Als sich in der Nacht vom 7. zum 8. Oktober 1756 ein großer Sturm erhob, wurden die meisten der damals fertig gestellten „Häuser abgedeckt, dazu auch viele Wände ein- gestürzt." Später wurden die Häuser solider gebaut, auch auf steinerne Fundamente gesetzt. Die neueingerichtetcn Wirtschaften hatten eine Größe von 10, 20, 45, 60 und 90 Morgen; jedoch waren 10-, 45- und 90-Morgenftellen vorherrschend. Am 20. 8. 1763 begann man mit dem Bau der ersten Häuser in Ncu-LietzegLricke. Am 12. 10. 1753 besichtigte v. Retzow die Bauarbeiten und berichtete dann an den König, daß das neue Dorf im nächsten Frühjahr fertig sein würde; als- dann soll mit dem Bau von Neu-Wustrow begonnen werden. Im — 87 — Juni 1754 bereiste b. Retzow abermals das Bruch und ver- faßte daraufhin mit Haerlem und Petri folgendes Protokoll: W r i e z e n a. £)., den 10. Juny 1754. Nachdem der Herr Obrist v. Retzow sich am 5. Juny hierselbst eingefunden Hatz um die Oder-Etablissements- Arbeiten zu reguliren, hat er am 6. Huf. die hiesige Stadt und den Orth auf dein Kietzer Revier über der Oder, wo das neue Dorff vor 20 Familien zu setzen, angesehen, ferner anl 7. huj. die Medewitzer, Reetzer, Wuftrower, Lietze- göricker und Alt-Wrietzener Feldmarken nebst dem neuen Dorff Neu-Lietzegöricke bereifet, hiernächst am 8. huj. die Oder von hier nach Güstebiese und von da ab den großen Oderkanal bis Hohen Saathen befahren und von da über Frehenwalde retourniret, so ist dabey beschlossen und feste gesetzt, daß: 1. die Stadt Wrietzen, das vor 21 Colonisten zu er- bauende neue Dorff — Rathsdorf — auf dem großen Eich- Werder an der Ranfter Grenze, so wie solches bereits ab- gestocheu ist, anzurichten hat, und den Colonisten dasjenige zuzulegen, wie es in dem v. Haerlem unterm 8. hujus abgestatteten Bericht exprimirt worden; auch dem rat- häußlichen Vorwerk Alt-Gaul nebst der hiesigen Bürger- schaft dasjenige, was sie von ihren bisherigen Grund- stücken an die Colonisten abtreten sollen, von dem so- genannten Castro und den urbar werdenden Orthen zu ver- güten, wobey zugleich den: Magistrat aufs Schärfste in- sungiret worden, den Bau dergestalt zu poussiren, daß die anzurichtenden 21 Häuser gegen den Monath Nov. völlig fertig sehn und mit den 21 Familien noch vor Ablauf des Jahres besetzt werden können. Ferner ist beschlossen, daß 2. die Kietz-Gauler Feldmark den 18 alten Ein- wohnern gänzlich zu lassen feh, die darauf repartirte 0 Colo- nisten aber wcgzulassen, weil die Feldmark bey weitem nicht von dem Inhalt ist, wie sie nach der ersten General-Ver- Messung angegeben worden. Es ist aber erwähnten 13 alten Einwohnern anbefohlen, ihre Feldmark völlig von allem Strauchwerk zu räumen, die anzurichtenden Grabens zu ziehen und dieselben in vollkommen nutzbaren Zustand zu setzen. 3. Auf dem hiesigen Kietzer Revier über der Oder (Neu-Kietz) sollen 2 große, ck 90 Morgen und 16 kleine, ü 10 Morgen und ein Müller mit 12 Morgen, also in Sa. 20 Familien angesetzet, der übrige Theil dieser Feld- mark aber unter die 16 alten Einwohner, ü 45 Morgen bedeckte Wiesen und 45 Morgen unbewallete Hütung er- theilet werden. Es wird das über der Oder belegene Revier zum Anbau der Colonisten gewählet, weil es höher ist, das diesseitige aber den alten Einwohnern näher liegt. 4. Aus dein Medewitzer Revier ist wegen der niedrigen Lage längs der Oder und weil die Sommerdämme noch nicht fertig sind, in diesem Jahr nichts vorzunehmen. 6. Auf dem Reetzer Revier ist mit dem Herrn v. Sack verabredet, daß das Königliche neue Dorff auf dem Eich- Werder, und wenn solcher nicht ausreicht, auf dem untersten Ende der Zigasken Wiesen an der Cüstrincheuer Grenze, das von Herrn v. Sack zu erbauende Adlige Dorff aber am obersten Ende der Zigasken Wiesen anzusetzen ist, und von den alten Einwohnern den 25 Fischern nebst dem Krüger und Schneider jedem 60 Mg. und den Freyleuten und 11 Freyhäußlern jedem 10 Morgen zuzuteilen, dem Ver- walterhof in Reetz 66 Morgen zuzulegen, und der Kirche 10 Margen, den beyden Schulzen 20 Morgen, dem Schulmeister 10 Morgen, und vor die Bullen 15 Morgen auszusetzen, und alsdann den zu etablirenden 38 großen Familien jeder 60 Morgen und den 77 kleinen Familien jeder 10 Morgen beyzulegen, auch vor die Bullen PP. 30 Morgen und zu Herrenwiesen vor jede Herrschaft ohn- gei'ähr 120—150 Mg. zu geben. Es bleibt jedoch dem — 39 Hauptmann Petri und v. Haerlem überlassen, bey devVer- theilung noch näher zu indagiren, ob den Herrenwiesen noch etwas behzusügen sey. Es sollen die alten Fischer deshalb nur 60 Morgen erhalten, weil ihre jährlichen Abgaben sich noch nicht auf 20 Thaler erstrecken und sie hinfolglich den Morgen nicht mal mit 8 Groschen ver- steuern. 6. Bey Alt-Wustrow ist die Feldmark völlig gerahdet gefunden, nur ist noch das Strauchwerk zu verbrennen. Da auch in dieser Rahdung viel Kraut und Nesseln aus- schlagen, worüber die alten Unterthanen klagen, daß sie solches zur Fütterung für ihr Mastvieh nicht gebrauchen können, so ist ihnen zugestanden, daß sie für dieses Jahr 10 Morgen von der Neu-Wustrower Feldmark zum Gras- schneiden benutzen sollen. Es ist ihnen aber auch zugleich angedeutet, sich nicht zu unterstehen, außer diesen 10 Morgen das Geringste zu holen, widrigenfalls sie bestraft werden sollen. Da diese Feldmark bereits am 28. v. Mts. unter die 13 alten Einwohner vertheilet, auch durch einen 8füßigen Graben separiret worden, so hat es dabey sein Bewenden und müssen sich besagte Unterthanen mit den ihnen zugetheilten 3 Hufen oder 90 Morgen begnügen. 7. Was das Neu-Wustrower Revier anbetrifft, so ist solches auch schon bereits gerahdet und das Strauchwerk nur noch völlig zu verbrennen, wobey gegenwärtig auch die Leuthe schon in Arbeit stehen; desgleichen ist auch der Graben von 8 Fuß breit zwischen der Zäckericker und Reetzer Grenze in Arbeit und vollends anzufertigen, weil an- derenfalls das Vieh von besagten Feldmarken nicht abzu- halten ist, wobey auch beschlossen ist, diese Feldmark mit 5 großen Colonisten, -> 90 Morgen, und 10 kleinen, ä 10 Morgen, zu bebauen, und das Dorff etwas näher nach dem Berges Graben zu, auf die höheren Wiesen zu setzen, vor die drei abgehende Colonisten aber eine Herren- wiese von 110 Morgen anzulegen.. Das neue Dorff von — 40 15 Familien soll noch in diesem Jahr 5um völligen Stand gebracht werden. 8. Die Neu-Lietzegöricker Feldmark, die theils von der Alt-Lietzegöricker, theils von der Alt-WustrowerFeldmark genommen worden, ist bereits gerahdet und abgeräumet, auch schon unter die angesetzten Colonisten vertheilet und mit Grabens von den erwähnten Feldmarken separiret. Auch sind die Colonisten Caveln mit grünen Weyden- bäumen benierket, und von dergleichen 6 Linien durchs ganze Dorff gepflanzet. Da die in diesem Dorffe gebauten 8 großen, 5 mittleren und 14 kleinen Colonisten Häuser in diesem Monath völlig fertig werden, nebst 2 Schmieden, 3 Backöfen und 4 Brunnen, so ist feste gesetzt, an jedem Ende des Dorffes in der Mitte der Straße ein Haus vor 8 Familien von dem noch vorräthigen Holz zu bauen und einem jeden zwischen den Alleen einen Garthen beyznlegen nebst der Frehheit, sich eine Kuh auf der Gemeinde Wehde mit zu halten. 9. Das Dorff Alt-Lietzegöricke ist den 27. May unter die alten Einwohner bereits eingetheilet und einem jeden seine Cavel angewiesen. Damit alle Unterthanen egal be- handelt werden, so wird feste gesetzt, daß die Bauern jeder nicht über 4 Pferde und 12 Stück Horn Vieh, die Fischer und Kossäthen jeder nicht über 2 Pferde und 12 Stück Horn Vieh und die alten Freyleute jeder nicht über 4 Stück Horn Vieh halten und auf die Weyde bringen, auch gar kein fremdes Weyde Vieh für Geld mehr annehmen dürfen. 10. Auch ist die Distribution der adligen Alt-Wrietzener Feldmark den 29. v. Mts. nach dem allergnädigst appro- birten Plan in loco bewerkstelligt und sind dabei die zwischen den Gerichts Obrigkeiten (Grundherren) und Unterthanen gewesenen Irrungen vor Ankunft der vom Kgl. Hochl. Kammergericht dazu dcnomiirtcn Herren Com- missare in Giite beygeleget auch ermeldete Gerichts Obrig- — 41 — feiten gegenwärtig damit beschäftigt, ihre Etablissements anzurichten und werden solche noch dieses Jahr nach Mög- lichkeit zum Stande gebracht. 11. Der Hauptmann Petri und Kriegs Rath v. Haerlem werden auf den Lewiner und Groß Bahrener Feldmarken die höchsten und bequemsten Oerther zu den neuen Dorff- stellen aussuchen und auf solchen die Rahdungen sowohl wie den Bau der Dörffer Neu-Kietz und Neu-Reetz nebst den Rahdungen daselbst vornehmen und solche bestermaßen beschleunigen, auch in den großen Dörfern Lewin, Trebbin und Bahren einen guten Krug mit 2 geräumigen Stuben zuerst erbauen lassen. 12. Sonst erfordert es die höchste Notwendigkeit, daß zur Communieation des Oderbruches mit den senseitigen Rand Dörffern die im vorigen Winter durch den starken Eisgang ruinirte Brücke bey Zäckerick diesen Sommer wieder recht solide aufgebauet werde. 13. Ferner ist beliebet und feste gesetzt, daß bey Neu- Lietzegöricke und Neu-Wustrow eine neue Windmühle nebst Wohnung, bey Alt- und Neu-Trebbin je 2 neue Windmühlen erbauet und wenn solche fertig, alsdann an tüchtige Müller mit Erlegung einer jährlichen Pacht erblich verkauft werden. 20. Die Notwendigkeit erfordert es auch, daß jemand zur Verwaltung der Justiz über die Colonisten, dergleichen zur Observirung ihrer Oekonomie bestellet werde. Solches soll dem Herrn Marsch Commissar Struve in Wrietze» übertragen werden. 23. Auch ist Ueberlegung gepflogen, weil auf der Trebbiner Feldmark wegen ihrer niedrigen Lage wenig Höhen zur Erbauung der neuen Dörffer vorhanden sind, ob S. Kgl. Hoheit, der Markgraf Karl wohl nicht zur Abtretung Dero Antheils an: sogenannten Burgwall gegen — 42 — ein gewisses Aequivalent von soviel Morgen Bruch an der Friedland'schen oder Klein Bahrener Grenze zu disponiren sein möchte, und darauf von dem Herrn Oberst beliebet, Ihm darüber einen besonderen Bericht abzustatten. 24. In Wrietzen sind am 7. und 8. hujus in 2 Trans- porten 65 Köpfe österreichische Emigranten angekommen und eiuqnartiret. Diese sollen später in Neu-Lietzegöricke und Neu-Wustrow angesetzet werden, inzwischen aber bey den Damm- und Rahdungsarbeiten, auch dem Brückenbau beschäftigt und in Verdienst und Arbeit gesetzt werden. Bis solches geschehen oder wenn einige krank werden möchten und nichts verdienen können, soll denselben zu ihrer Unter- haltung, nämlich einer Mannsperson tgl. 4 Groschen und einer Frauensperson 3 Groschen, den Kindern aber nur 2 Groschen, aus der Hiesigen Etablissements Casse vergütet und wird hierunter alles obgedachtermaßen gehörig be- sorget werden. Actum ut supra. v. Retzow. Petri, v. Ha er lern." Von den geplanten Neudörfern war zur Zeit dieser Be- sichtigung nur Neu-Lietzegöricke fertig und besiedelt; mit dem Bau von Neu-Wustrow, Neu-Lewin, Neu-Bahren, Neu- Kietz b. Wr., Neu-Reetz und Neu-Trebbin sollte sofort be- gonnen werden. Rüstig schreiten diese Bauarbeiten fort, und im Oktober desselben Jahres finden wir v. Retzow abermals auf einer Besichtigungsreise durch das Bruch. Nach einem am 30. 10. 1754 zu Wriezen aufgenommenen Protokoll hatten die Kolonisten in Neu-Lietzegöricke ihre ersten Früchte eingeerntet, Neu-Wustrow war fast fertig, Neu- Lewin, Neu-Bahren, Neu-Kietz und Neu-Reetz befanden sich im Bau, und Neu-Trebbin war angefangen. Das Jahr 1755 war für den Bau der königlichen Bruch- kolonien das wichtigste. Auf allen Feldmarken wird emsig gearbeitet und gebaut. Sobald ein Etablissement fertig ist, — 43 — ziehen auch schon die gerufenen und ungerufenen Fremdlinge unter Haerlems Führung ein und nehmen dankbaren Herzens und freudestrahlenden Blickes die ihnen zugewiesenen Höfe in Besitz. Die einen kommen mit habebeladenem Wagen und vielem Vieh, die andern dagegen mit bloßem Stecken und dürftigem Bündel: alle finden eine neue Heimat. Im Juni 1755 besichtigte v. Retzow wiederum das Bruch und gab folgendes zu Protokoll: Wriezen, den 11. Juni 1755. Neu-Lewin ist größtenteils fertig und besetzt. In Neu-Barnim sind sämtliche Häuser gerichtet, viele schon fertig und mit Oesterreicheru, auch einige mit Sachsen be- siedelt. Außerdem sollen noch 20 österreichische Familien daselbst augesetzt werden. Die Oesterreicher sind meist arme Leute, haben ihrer Religion wegen das Ihrige verlassen und sollen mit Vieh und Ackergerät versehen werden. Der große Kolonist erhält 12 Kühe und 6 Ochsen, der mittlere 6 Kühe und 3 Ochsen und der kleine 2 Kühe. In Neu- Trebbiu sind 15 Häuser gerichtet; für 30 andere ist das Bauholz geschnitten. In Neu-Kietz bei Wr. sind 5 Klöpplerfamilien aus dem Erzgebirge vorhanden und bitten um Dielung ihrer Stuben, da durch den Staub des Estrichs ihre Arbeit schmutzig wird. In Neu-Medewitz sind 10 Häuser gerichtet, die übrigen in Arbeit. In Neu-Reetz sind 36 Häuser fertig und mit Kolonisten besetzt; auch kann die dortige Ziegelei in Kürze in Betrieb genommen werden. 2 Windmühlen sind in Arbeit. In Neu-Wustrow sind sämtliche Häuser bis aufs Weißen der Wände fertig und besetzt. In Neu-Lietzegöricke sind die Kolonisten ermahnt worden, fleißig und ordentlich zu ioirtschaften, widrigen- falls sie nachdrückliche Ahndung zu gewärtigen haben. Die beiden Kolonisten Stollhofer und Wiedemann sollen — 44 — exmittirt werden und kleine Höfe in Neu-Reetz erhalten. Falls sie sich nicht bessern, sollen sie weggejagt werden. Am 5. November 1766 konstituiert v. Haerlein die Gemeinde Neu-Barnim. Der Darmstädter Adam Helgen- berger wird zum Schulzen und die Oesterreicher Andreas Hoffwimmer und Johann Misselberger werden zu Gerichts- männern ernannt. Sie werden verpflichtet, auf die Wirt- schaftsführung der anderen Kolonisten zu achten, ihnen mit gutem Wandel und Fleiß voranzugehen und die Gemeinde zum Gehorsam anzuhalten. Im Dezember 1765 berichtete Petri an den König, daß die Dörfer Neu-Lietzegöricke, Neu-Wustroto, Neu-Reetz, Neu- Medewitz, Neu-Kietz b. Wr., Neu-Lewin und Neu-Barnim fertig und besetzt, die Häuser in Neu-Trebbin, Burgwall, Neu- Nüdnitz, Neu-Glietzen und Neu-Kietz b. Fr. gerichtet und gedeckt seien und mit Neu-Cüstrinchen und Neu-Tornow der Anfang gemacht sei. Die Hochwassergefahren hatten die Bautechniker veran- laßt, die Häuser der untern Dörfer auf 4—8 Fuß hohe Erd- hügel, die durch eingerammte Pfähle befestigt waren, zu setzen. Mit dem Beginn des Jahres 1766 kamen die Bau- arbeiten sehr ins Stocken. Frühjahrsstürme und Ueber- schwemmungen waren einer weitern Verwirklichung der Retzow'schen Pläne sehr hinderlich. Dazu kam der aus- brechende 7jährige Krieg, der viele Erdarbeiter und Bauhand- werker zu blutigeni Streite rief und eine ruhige Wciter- entwickelung der Dinge unmöglich machte. Die meisten der noch nicht fertigen Dörfer wurden 1758, Neu-Kietz bei Fr. sogar erst 1760 besiedelt. Man darf annehmen, daß die Be- siedelungsarbeiten auf königlichem Gebiet im Jahre 1760 ihren Abschluß gefunden haben. Außer den 10 Herrenwiesen waren 14 königliche Kolonistendörfer und der Geflügelhof — 45 — Thöringswerder errichtet worden. (Der Gefügelhof auf dein „Leutnantsberg" >vird zu den Herrenwiesen gewählt.) Die Angaben in den Retzow'schen Protokollen und den Kriele'schen Statistiken ermöglichen die Aufstellung folgender Tabelle: Königliche Kolonisten-örfer. Nr. Name. Größe in Mg. Familien. Zeit d. Gründg. l. Neu-Lietzegöricke 1190 47 1754 2. Neu-Wustrow 590 19 1765 3. Neu-Kietz b. Wr. 360 20 1755 4. Neu-Lewin 2580 80 1765 5. Neu-Barnim 2340 91 1755 6. Neu-Reetz 1280 58 1755 7. Neu-Medewitz 640 38 1755 8. Neu-Trebbin 3838 131 1756 9. Neu-Burgwall 120 7 1766 10. Neu-Rüdnitz 1706 69 1758 11. Neu-Cüstrinchen 960 36 1758 12. Neu-Glietzen 620 30 1758 13. Neu-Tornow 595 42 1758 14. Neu-Kietz b. Fr. 160 16 1760 Ter sogenannte Thöringswerder, 72 Morgen groß, wurde mit 1 Familie besetzt. „Alte Dörfer, so mit neuen Colonisten vergrößert", waren: Groß-Barnim mit 4 Familien Alt Lewin „ 4 „ Alt-Medewitz „ 4 „ Alt-Trebbin „ 5 „ Gabow (Krug) „ 1 Familie. Im ganzen wurden also auf königlichem Gebiet 703 Kvlonistenfamilicn angesetzt. — 46 — Die neuen Ansiedler. Wie schon erwähnt, ging das Streben Friedrichs II. dahin, die Fahl seiner Untertanen durch fremde Einwandrer zu vergrößern. Grundsätzlich sollten darum in seinen Kolo- nien nur Ausländer angesetzt werden. Durch Patente, deren eins vom 28. 9. 1747 datiert und die von königlichen Kom- missaren in den Nachbarstaaten bekannt gegeben wurden, lud er Bedrückte und Verfolgte zur Besiedlung seines Landes ein. Große Verdienste um die Ansetzung neuer Untertanen haben sich die preußischen Gesandten v. Plotho in Regens- burg und v. Freytag in Frankfurt a. M. erworben. Bald floß ein Strom von fleißigen und ordentlichen Kolonisten in die preußischen Lande. Anfangs wurden die Einwandrer in den neuerrichteten „Wüstendörfern" im Oberamt Finna an- gcsiedelt, später aber in die trockengelegten Brücher gewiesen. Nun waren die damaligen Feitverhältnisse den Plänen des großen Preußenkönigs besonders günstig. Fürstlicher Des- potismus und kirchlicher Fanatismus trieben die häßlichsten Blüte». Um einer drückenden Knechtschaft zu entgehen, verließen viele Protestanten ihr Vaterland und suchten sich eine neue Heimat. Und so kamen Bedrängte und Vertriebene aus Oesterreich, Württemberg, Hessen-Darmstadt, Sachsen, Mecklenburg, Polen, der Pfalz, der Schweiz und dem Harz in großer Menge, und für sie alle sorgte Friedrich II. in huld- reichster Weise. Er sandte ihnen Kommissare mit Pässen und Reisegeld entgegen und befahl seinen Untertanen, die Emigranten mit Vorspann und Verpflegung zu unterstützen. Sämtliche Fäden der Besiedlung des Oderbruches hatte der Obrist v. Retzow, Kommandant von Potsdain, in seiner Hand. Mit vielem Geschick löste er die ihm vom König gestellte Aufgabe, sodaß er sich der Gunst seines königlichen Herrn, der ihn 1754 zum Generalleutnant ernannte, in weitestem Maße erfreute. Von sämtlichen Entschließungen des Königs, wie auch der obersten Staatsbehörde, des General- Direktoriums in Berlin, wurde v. Retzow in Kenntnis gesetzt. 47 — Die angeineldeten Emigranten, die oft in großer Armut ankamen, wurden zunächst nach Wriezen dirigiert und von dort aus nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen und Familien- verhältnisse, sowie unter Berücksichtigung billiger Wünsche in die fertigen Etablissements gesetzt. Es wurde Bedacht genommen, daß die einzelnen Landsmannschaften möglichst beisammen blieben. Häufig sandten auswanderungslustige Nachbarn aus ihrer Mitte Kundschafter in das „gelobte Land", dieses zu prüfen und möglichst vorteilhafte Bedingungen von den preußischen Behörden zu erwirken. So kamen 1754 die beiden polnischen Landwirte Hübner und Tesmer ins Bruch, besahen's sich und versprachen v. Haerlem, das Dorf Neu-Lewiu, das demnächst fertig werden sollte, besiedeln zu wollen. Es wurden ihnen mancherlei Vergünstigungen eingeräumt, die Bitte aber um Gewährung von 3 Freijahren wurde ihnen abgeschlagen. Im Jahre 1756 besichtigte der Landwirt August Stern- berg aus Gerdshagen in Mecklenburg das Oderbruch, und da es ihm hier gut gefiel, erbot er sich, in Kürze mit „50 Paar Personen, ohne Kinder" zu kommen. Die Kosten dieser Besichtigungsreise schienen jedoch das Vermögen des biedern Mecklenburgers überstiegen zu haben; denn er schrieb von Wriezen aus an den König, sein Beutel leide an einer Leere; Majestät möchte ihn in Ansehung seines guten Vorhabens mit einigem Gelde unterstützen. Die ersten Kolonisten kamen schon im März 1753 in Potsdam an und baten den König um Unterbringung an der Oder. Es waren die Kurpfälzer Franz Schall und Jacob Hartmann aus Heddesheim am Gültenbach, im Amte Strom- berg, mit ihren Frauen, 6 Söhnen, 4 Töchtern und 700 Gulden an barem Gelde. Einige Wochen später treffen die beiden Württemberger Jacob Stahl und Michel Kleinbeck in Wriezen ein. v. Haerlem beschäftigt sie einstweilen beim Kanalbau und siedelt sie im nächsten Frühjahr in Neu-Lietzegöricke an. — 48 — Einen großen Teil der neuen Kolonisten stellte die K u r p f a l z. Es waren dies meist arme Leute, Garnweber und sonstige Handwerker, die aus den Dörfern Gundersheim, Dahlsheim, Albig, Flörsheim, Heddesheim, Bermersheim und Horchheim im Oberamte Alzey, sowie aus dem Oertchen Altzenbrück in der Grafschaft Falkenstein am Donnersberg kamen. Da sie gute Reformierte waren, hatten sie von den katholischen Behörden mancherlei Unbill zu erdulden. Als sie dann von dem Edelmut des großen Preußenkönigs, der den Fremdlingen nicht nur Haus und Hof, sondern auch allerlei Freiheiten versprach, hörten, meldeten sie sich bei dem preußischen Residenten v. Freytag in Frankfurt a. M. zur Besiedlung an, erwirkten sich bei den kurpfälzischen Behörden ordnungsmäßig Losscheine und Pässe und zogen in Scharen von dannen. Ein solcher Paß, der heute noch von der Familie Groh in Neu-Barnim aufbewahrt wird, zeigt folgenden Wortlaut: „Nachdem Vorzeiger dieses, der allhiesige gemeinds Mann Johannes Grohe mit Weib und seinen Zwei Kindern von Hier ab- und ins Preußisch Kurmärkische sich zu be- geben und allda Nieder zu lassen intentioniret, weßfals sich der Leibeigenschaft, so derselbe in Curpfalz zugethan war, behörrend Loß gekauft, den Schein aber wegen dem, da fein hauß und güther Käufer das darzu erforderliche geld nicht beibringen könne; nit zu Händen bekommen hat. Da nun derselbe ein Atestatum seines und deren scinigen bisherigen Verhaltens Vonnöthen haben möchte, als haben hiermit nit ermanglen können, zu attestiren, daß Mentionirter Johannes Grohe und dessen Ehefrau Einer Ehrlichen Geburth und Herkommens, auch sich mit Weib und Kindern in hiesige gemeine Ehrlich ernehrt, und gegen jeder Mann, wer derselbe auch gewesen sei, mit bescheiden- heit derengestalten aufgeführt, daß ihm und denen seinigen mit Wahrheit nichts widriges können aufgebürdet oder nachgeredet werden. Weßwegen derselbe, wohin er etwa sich Niderlassen möge, als ein Treu und Ehrliebcnder i — 49 — unterthan aufgenohmen, und in seinem Vorhaben bestens befördert zu werden — nicht weniger mit den seinigen allerorth frey und ohnaufgehalten Paß- und repassirt zu werden meritiret. Uhrkundlich dessen ist gegenwärtiges attestatum von schultheiß und geeichten nebst Vordruckung des hiesigen orths gewöhnlichem gerichts Jnsiegels unter- schrieben und Corroborirt worden, so geschehen zu Albig Curpfaltz aberamts Altzey, d. 16 May 1766. Peter Wölk schultheiß Heinrich Mann des gerichts Andr. Hartleb des gerichts und gerichtsschreiber." Ein andres Führungsattest, das ebenfalls im Original noch vorhanden ist, wurde dem genannten Johannes Groh von seinem Pfarrer I. Conrady ausgestellt. Die ankommenden Pfälzer wurden in Neu-Barnim, Neu- Cüstrinchen, Neu-Rüdnitz, Neu-Glietzen, Neu-Tornow und Neu-Kietz b. Fr. angesetzt. Zu ihnen gehört der Ackersmann Johann Georg Ochs. Dieser scheint sich in der neuen Heimat recht wohl gefühlt zu haben, denn frohen Mutes schreibt er an seinen Schwager Jacob Printz zu Bermersheim bei Heidelberg: „Gott zum Gruß, Jesum zum Trost mit disser Gelegenheit thue ich euch berichten, daß ich bey meinem Bruder Johann Philipp in Preisisch Brandenburg, hinter Britzen an der Oder, zu Neye Bahren selbsten gewesen und mihr und Dir von dem Kriegsrath von Britzen (Haerlem) Hauß und Hoff anweisen lassen, und wir also auf die Ernt drin sein müssen, denn mein Bruder hat 7 morgen mit gerste vor mich eingesehet, und weilen ich noch so vil gelt in Henden von Dir gehabt, so habe ich auch vor dich eingesehet, daß Du disse Ernt auch so vill einernten kannst, daß Du dein Brodt vor ein Jahr hast, biß Du selber eingebaut hast, so will ich es besorgen, aber 50 Du mußt sobald kommen alß es möglich ist, denn meine frau, Deine schwester, die duht mihr sonst verzweifeln. Ich habe zu Franckfurth Main bey dem Königlichen Preisischen gesanden H. von Freytag meinen baß genommen und auch gesprochen, wenn du komest, auch Deinen baß sogleich bekombst, also verkaufe Deine sach auf zeit und zil. Auf martini 1758 hol ich mein gelt auch zu Bermsh: so kanstu auch mit hinauß gehen, kome baldt und sehe Dein sach nicht an in der Pfaltz, denn hir ist gut wohnen. Verbleibe Dein getreyer schwager biß in den doth Johann Georg ochs nun mehr in Neye B a r e n d. 12. März 1767." Der Schwager Jacob Printz folgt dieser Einladung und kommt im August 1757 in Berlin an. Hier stellt sich bei ihm ein großer Mangel an Geld und Zehrung ein, und er schreibt dieserhalb an den König: „Allerdurchlauchtigster Großmächtigster König! Allergnädigster Herr! Nachdem mein Schwager der Ackersmann Ochs zu Neu- Bahren bey Wriezen an der Oder laut Original-Schreiben sub A. vom 12. Martii a. c. mich unter anderen Persuasoriis in Ew. Königl. Majestät Land zu ziehen encouragirt verbis: „Komme bald, und siehe deine Sache nicht an in der Pfaltz; denn hier ist gut wohnen pp." auch sogar schon vor mich eingesäet hat. So habe mich mit Frau und 3 Söhnen, wovon der älteste 6Vs Jahr, der jüngste aber erst acht Wochen alt ist, auf den Weg gemachet, auch 45 Rth. Reise Geld mitgenommen. Ich habe aber mit diesen Geldern, weil ich wegen der streifenden Frantzosen bald hier, bald dort Halt machen müssen, weiter nicht als bis Halle gereichet. Daselbst nun habe ich diese meine Umstände einem dort gewesenen Berlinischen Fuhrmann Gottfried Wolffschmidt offenbahret, worauf sich letzterer meiner solchergestalt angenommen, daß er mich und meine familie 4* — 51 — nicht nur von Halle bis Berlin transportiret, sondern auch die nöthige Zehrung vorgeschossen hat, kann aber wegen Mangel des Geldes nicht weiter kommen, habe auch nichts zu zehren, weil ich mir nicht vorgestellet, daß ich so lange Zeit unterwegs seyn würde. Wollte demnach Ew. König!. Majestät allerunterthänigst bitten, mir aus besonderer hoher König!. Gnade gegen Reservierung und weil ich noch 60 fl. in der Pfaltz zu stehen habe, einen Vorschuß von 20 Rth. auf 1 Jahr allergnädigst angedeyhen zu lassen, damit ich diesen Fuhrmann Wolff- schmidt befriedigen u. mit dem übrigen nach Neu-Bahren kommen könne. Ich will diesen Vorschuß zu gesetzter Zeit nicht nur ehrlich abstatten, sondern auch ein getreuer Unterthan und Einwohner vor Ew. König!. Majestät leben und sterben. Versehe mich allergnädigster Hülfse u. verharre in tiefster Ehrfurcht Ew. König!. Majestät allerunterthänigster Knecht Jacob Printz Kiefer aus der-Pfaltz, 2 Stunden von Hehdelberg, 70 Meilen von hier." Ihm ward vom König der Bescheid, er solle sich nach Wriezen, das nur 7 Stunden entfernt wäre, begeben und sich bei der dortigen Ansiedlungs-Kommission oder Herrn v. Haerlem melden, die ihm einen Vorschuß und einen Hof anweisen mögen. Im Juli 1758 kam der Schreiner David Peter Lindner aus Nieder-Flörsheim im Amte Alzey mit seiner Frau und 3 Kindern nach Berlin und bat den König um Reisegeld, das Bürger- und Meisterrechi in Freienwalde oder einen Kolo- nistenhof und 6 Freijahre. Diese Bittschrift wurde an Haerlem zur Erledigung weitergegeben. Dieser erwiderte, daß zwar sämtliche Nahrungen im Bruch bereits vergeben — 52 — wären, jedoch „zur völligen Complettirung der stipulirten Anzahl Kolonisten noch ein kleiner Hof in Neu-Cüstrinchen erbaut werden müßte, worauf allenfalls obgcdachter Lindner noch angesetzt werden und selbiger indessen, bis solcher fertig ist, sich bei einem seiner Landsleute daselbst oder in Neu- Barnim einmieten könnte. Transportkosten, sowie mehr als .1 Freijahr würden ihm aber nicht gewährt." Dem Lindner ward daraufhin dieses Gütchen unter der Bedingung, sich der Ausübung seiner Profession zu enthalten, angeboten, andernfalls müßte er sich in Freienwalde ohne eine Unter- stützung niederlassen. Lindner schrieb nun an den König, er wäre Wohl gewillt, jenen Hof anzunehmen, könnte sich jedoch seiner Profession nicht begeben, da er doch davon leben müßte. Er tväre am 1. Juni aus der Heimat abgereist und 6 Wochen unterwegs gewesen, müßte nun mit den Seinigen hungern und nackt und bloß sein. Dabei wäre er ein ehrlicher Mann, der sich so weit ins fremde Land gewagt, auch hätte er noch 259 Gulden in der Pfalz zu fordern. Da er nun mit Frau und Kindern hungern müßte, bäte er nochmals, ihm die „Beneficia und Transportkosten angedeihen zu lassen." Ihm ward jedoch von der König!. Kammer der endgültige Bescheid, entweder jenen kleinen Hof mit 1 Freijahr ohne Ausübung seiner Profession zu übernehmen oder aber sich als Handwerker in Freienwalde niederzulassen. Da wir unter den ersten Kolonisten Neu-Cüstrinchens einen Lindner nicht finden, so ist anzunehmen, daß er von dem letztern Anerbieten der Behörde Gebrauch gemacht hat. In demselben Jahre trafen in Wriezen die Pfälzer Jacob Francke, Jacob Greuner und Martin Kühner ein. Sie kamen aus Altzenbrück in der Grafschaft Falkenstein und wollten sich in Neu-Rüdnitz etablieren. Die eingewandertcn Pfälzer waren weniger tüchtige Bauern als geschickte Handwerker. Ihre neuen Wohnungen — 53 erkannte man an der Weinrebe, die sie nach altheimischer Weise an der Sonnenseite ihrer Häuser gepflanzt hatten. Die Nachkommen jener Pfälzer sind stattliche, hellblonde Menschen, gestählt im Kamps mit dem Wasser. Einen erheblichen Zuzug von Ansiedlern erhielt das Oderbruch auch aus den ö st e r r e i ch i s ch e n Erb - ländern. Während die Emigranten, die Friedrich Wilhelm I. in Ostpreußen angesiedelt hatte, dem Pinz- und Pongau entstammten, kamen die neuen Kolonisten des Oder- bruches aus den Tälern der südlichen Tauern und Kara- wanken, besonders „aus dem Biebersteiner Gericht, 6 Stunden von Klagenfurt". Da heute ein Bieberstein in jener Gegend nicht mehr existiert, so ist wohl die Stadt Stein a. d. Feistritz darunter zu verstehen. Frühzeitig war die Lehre Luthers in das streng katholische Erzbistum Salzburg, zu dem auch Teile des heutigen Kärnten und Tirol gehörten, gedrungen und hatte dort zahlreiche Anhänger gefunden. Trotz der Zugeständnisse, die man den Protestanten im westfälischen Frieden eingeräumt hatte, wurden sie in den österreichischen Erbländern doch hart bedrückt. Anfangs begnügte man sich damit, die auf- gestöberten Erbauungsschriften der „Ketzer" zu verbrennen, später aber schritt man zu Einkerkerungen, Dragonaden und gewaltsamen Vertreibungen. „Unvermutet kam die Sol- dateska über sie. Wie sie gingen und standen, mußten sie hinweg." In ihrer Not wandten sich die Protestanten an das Corpus evangelicorum des Regensburger Reichstages. Sie fanden aber dort wenig Beistand, und der Haß der „Papisten" gegen sie wurde immer größer. Tausende mußten ihre geliebten Berge verlassen und sich in fremden Ländern ein Asyl suchen. Ein großer Teil begab sich nach Holland und Amerika, andere zogen nach Regensburg und baten von dort aus den König von Preußen um Aufnahme in sein Land. ! — 54 — Friedrich II. schrieb in Plothos Abwesenheit an den Lcgationsrat v. Viereck in Regensburg: „Bester, lieber Getreuer! Ich übersende euch hierbey ein Verzeichnis; von denen wegen der bekannten Religionsverfolgung einiger Oester- reichischer Unterthanen, welche sich annetzo in Regensbnrg aufhalten und mich flehentlich gebeten haben, sie in meinen Landen auf- und anzunehmen. Weil ich nun resolviret habe, dem Gesuch dieser armen Leuthe Folge zu geben und selbige beh denen neuen Etablissements, so Ich an der Oder auf meine Kosten zu machen intentioniret Bin, als Colonisten anzusetzen, so will Ich, daß ihr ihnen solches unter der Hand bekannt machen und sie an den Obristen v. Retzow adressiren sollt, maaßen Ich demselben unterm heutigen Dato besohlen habe, mit euch darüber zu korrespon- diren und wegen Unterbringung dieser Leuthe die nöthige Veranstaltung zu machen. Es dienet auch dabeh zur Nach- richt, daß Ich selbigen zu ihrer Herreise, welche sie binnen 14 Tagen vollenden können, an Diäten täglich auf eine erwachsene Person 4 sgr. und auf 1 Kind 2 sgr. accordiret habe, welche der Obriste v. Retzow nach einer von euch erhaltenen Rechnung bezahlen wird. Ich bin euer wohl affectionirter König Potsdam, den 2. April 1734. Friedrich." Der Legationsrat v. Viereck teilt den Emigranten den Entschluß Friedrichs II. mit und meldet ihren „successivcn" Abzug über Hof in Baireuth dem dortigen preußischen Bevoll- mächtigten v. Osten in folgendem Schreiben: „Ew. 2C. gebe ich mir die Ehre, aus beykommenden Abschriften an mich ergangene allergnädigste Kgl. Hand- schreiben zu vernehmen zu geben, was Gestalt Se. Kgl. Majestät allerhuldrcichst entschlossen, sämtliche allhier befindlichen Oesterreicher, so wegen des bekannten Gewissens- zwangs aus ihrem Vaterlande zu emigriren sich genöthigt gesehen, in Ihren Landen auf- und anzunehmen und sie alldort zu gewissen: Behuf als Coloniften niederzufetzen. Da ich nun heute den Anfang mit Fortschickung der in behliegender Liste benannten Leuthe mache, so habe ich Ew. rc. selbige zu gütiger Unterstützung ihres Fortkommens mithin die Erreichung Sr. Kgl. Majestät hierunter hegenden Intention bestens zu recommandiren nicht ermangeln sollen. Einige 60—70 Personen, so sich noch allhier auf- halten, werden ehestens successive Nachfolgen, und ich ver- verbleibe mit vollkommener Hochachtung v. Viere ck." Regensburg, den 12. May 1764. Ackerleuthe. Diesem Schreiben war folgendes „Verzeichniß der nach den Kgl. Preußischen Landen gehenden Colonisten" beigefügt: Johann Gräffling. Ein Weber. Johann Priutzitsch von Flitsch an Italien gräntzend. Johann Wentzel Caspar Graffschafft Elisabeth Weternich Anna Winter Susanne Hintereger Petronella Auter Thomas Ritsch. Ein Weber Meister. Margarethe Ritsch. Dessen Eheweib. Catharine Ritsch. Ledigen Standes. Susanne > Jacob > 8 Kinder obigen Weber Meisters. Maria I Valentin Rauter. Ein Zeug Walker und sein Eheweib und 1 Kind. Bartholomäus | Nicolaus j Rauter. Johann 16 Erwachsene und 4 Kinder. — 56 — Am 20. Mai 1754 kommen 40 Personen in Hof an. v. Osten nimmt sie in Empfang und sendet sie sofort weiter nach Halle, was er der dortigen Kammer-Deputation mit folgenden Worten anzeigt: „Es sind heute von denen aus den Oesterreichischen Erblanden vertriebenen Evangelischen Unterthanen 40 Per- sonen angekommen und haben sofort ihren Weg weiter genommen. Da nun die Evangel. Fürsten zu ihrem Trans- port ihnen frehe Fuhre gegeben, die Grafen v. Schleiß ihnen auch dergleichen ohnentgeltlich erweisen werden, so stelle deroselben anheim, vor dieselben zu thun, was vor gut befunden wird. v. O st e n." Die Salz-Deputation in Halle berichtet dem König die bevorstehende Ankunft der 40 Emigranten. Am 29. Mai 1764 meldet das General-Direktorium auf allerhöchsten Befehl deni Obristen v. Retzow, „daß 40 Personen emigrirende evangelische Unterthanen aus den Oesterreichischen Erb-Landen von Hof nach Halle unterwegs sind". Die Emigranten kommen dann in Halle an und erhalten auf des Königs Befehl aus der dortigen Domänenkasse 77 Taler 14 Gr. lieber Aken ziehen sie dann weiter nach Potsdam „wie eine Herde Schafe, voller Demut und Geduld." Ueberall iverden sie freudig ausgenommen, gepflegt und gefördert. Auf ihrem Marsche sangen sie folgendes Exulantenlied: 1. I bin ein armer Exulant, Ja, so tu i mi schreiba, Ma tut mi aus dem Vatterland Um Gottes Wort vertreiba. 2. Ein Pilgrim bin i halt nunmehr, Mueß rasa fremde Strosa, Das bitt i di, mein Gott und Herr, Du wirst mi nit verlosa. 57 — 3. Mein Gott, führ mi in eine Stadt. Wo i dein Wort kann hoba. Darin will i di früh und spat In meinem Herzel loba. Die ersten Emigrantenzüge nahmen ihren Weg über Berlin. Da dieselben großes Aufsehen erregten, gebot der König später, dieselben „an Berlin vorbeizusühren." Diese 65 österreichischen Emigranten kamen am 7. und 8. Juni 1754 in 2 Transporten in Wriezen an und wurden dort von Retzow. welcher sich auf einer Besichtigungsreise befand, empfangen. Auf des Königs Kosten wurden sie einst- weilen bei der Bürgerschaft Wriezens einquartiert und von Haerlem bei den Damm- und Rodungsarbeiten beschäftigt. Nach Fertigstellung des königlichen Dorfes Neu-Barnim wurden sie dort angesetzt, einige Familien hatten sich schon zuvor in Neu-Lietzegöricke niedergelassen. Die eingewanderten Oesterreicher, Lutheraner, bekundeten einen strengkirchlichen Sinn und erfreuten sich wegen ihrer guten Führung der besonderen Gunst der leitenden Beamten. Von Interesse dürften die beiden folgenden Geleitbriefe sein, die österreichischen Ansiedlern behördlicherseits aus- gefertigt wurden und im Original vorliegen. 1. „Wir Burger Meister und Rath d. h. R. R. Stadt Nürnberg Uhrkunden und bezeugen hiermit, daß in hiesiger Stadt und Landschaft Gottlob die Lust Wir ersuchen dahero: Sie wollen Vorzeigerinnen dieses, 2 Schwestern eines Namens, nehmlich Maria Petschnick aus dem Biebersteiner Gericht, 6 Stunden von Klagenfurth, Emigrantinnen, so in die Brandenburgischen Lande zu gehen Willens sind, nicht allein aller Orthen frey und unbelästigt ziehen lassen, sondern solche pflegen und fördern nach guter Christen Brauch. N ü r n b e r g, den 23. August 1754. Der Burger Meiste r." — 58 2. „Wir Geschworne Vor- und andere Meister des Ehrsamen Handwercks derer Zimmerleute in der Kayserl. Freyen Reichs-Stadt Regenspurg, bescheinigen hierinst, daß gegenwärtiger Geselle, Rahmens Adam Hasselberger von Ehrndorff in ober Östreich gebürtig, so 36 Jahr alt, und von Statur mittelmäßig auch schwarzen Haaren ist, bey uns allhier 1 Jahr, 2 Wochen in Arbeit gestanden und sich solcher Zeit über treu, fleißig, stille, friedsam und ehr- lich, wie einem jeglichen Handwercks-Gesellen gebühret, verhalten hat, welches wir also attestiren, und deßhalben unsere sämtliche Mit-Meister, diesen Gesellen, nach Hand- wercks-Gebrauch, überall zu fördern, geziemend ersuchen wollen. R egenspur g, den 14 May Anno 1764. Alter Geschworner Meister. Johann Gottlieb Dürsch. Jünger Geschworner Meister. Johann Christian Weber. Meister, wo obiger Gesell in Arbeit gestanden. Johann Gottlieb Dürsch." Diesen Adam Hasselberger finden wir später als Besitzer einer 46-Morgenstelle in Reu-Cüstrinchen, woselbst er 1766 gestorben ist. Zahlreiche Kolonisten kamen auch aus den Holländereien und deutschen Schulzendörfern der polnischen Herr- schaften Obornik, Czarnikau und Filehne ins Oderbruch. Aus dem letzteru Bezirk allein sind 247 Familien, Anfang des 17. Jahrhunderts die Dörfer Neuhöfen, Ehrbar- dorf, Follstein, Mariendorf, Eichberg, Grünfier, Drensen, Kolten, Selchow, Prossekel, Lubs und Ascherbude gegründet haben, ausgewandert. Während die Erbauer der polnischen Holländereien ins Land gerufene Niederländer aus der Weichselnicdrung waren, entstammten die Gründer und Be- wohner der deutschen Schulzendörfer der benachbarten Neu- mark und dem Herzogtum Pommern. Anfangs hatten die — 59 — polnischen Fürsten den deutschen Ansiedlern allerlei Rechte und Freiheiten gewährt; später jedoch hatten diese unter drückenden Lasten und Fronen schwer zu seufzen. Einer der mächtigsten polnischen Fürsten der damaligen Zeit war Peter v. Sapieha, Erbherr von Filehne. Ihm ge- hörten große Landgebiete im Warthe- und Netzedistrikt, nur durch die Drage von der preußischen Neumark geschieden. Unter seiner Knute wie auch unter dem Hasse des Propstes von Filehne hatten die deutschen Protestanten viel zu erdulden. Der iu Eichberg wohnende Pfarrer Licht stand den Bedrückten tröstend und ratend zur Seite, und da er ein warmer Verehrer des großen Preußenköuigs war, machte er seine leidenden Pfarrkinder auf die Schöpfungen desselben, in denen allerlei Freiheiten winkten, aufmerksam. Auf seine Veranlassung sandten die Deutschen dann die beiden Landwirte Hübner und Tesmer ins Oderbruch, es zu besichtigen und einen günstigen Wohnplatz auszuwählen. Sie kehrten bald zurück und waren des Lobes über das neue Land voll. Viele ver- ließen nun ihre armseligen Hütten, überschritten im Dunkel der Nacht die Drage und entkamen glücklich nach Wriezen. Als der polnische Fürst von der Desertion seiner „Pflicht- und treuvergessenen Untertanen" hörte, ward er sehr zornig und ließ durch seine Heidereuter die Ufer der Drage scharf über- wachen. Den Pfarrer Licht ließ er als den Anstifter jener Abwanderungen in Haft nehmen; von der neumärkischen Kammer aber forderte er die Auslieferung des „Schelm-Packs" — natürlich vergeblich! Als dann 1767 die beiden „ent- laufenen Erzschelme" Sommer und Schlender von Neu-Lietzc- göricke aus heimlich ihre in Selchow zurückgelassenen Hof- wehreu geholt hatten, beschwerte sich der Fürst abermals über diese „Erzdiebe". Der beleidigte Kolonist Schlender sandte daraufhin dem zornigen Polenfürsten folgendes „mechante Schreiben" zu: „Lieber Herr, nehmt mir nicht ungütig, denn ich weiß nicht wie ich Euch tituliren soll, ist dsl: ein Edelmanw oder ist dsl: sonsten einer. Ihr habt mir vor Diebstahl — 60 — gehalten, daß ich mir meines Vaters Erbe geholet habe, und es mir Niemand vor Uebel nimmt. Ihr möget selber Diebe sein, die ihr mich es vor Diebstahl erkennet; Diebe werden nicht angehaltcn. Komt holt mir; ist euch Spandow nicht bewust, es soll euch bewust werden. Hiermit ver- bleibe ich ein ehrlicher braver Cavalier. Anno 1757, den 11. Juni. Johann Schlender." Der Pfarrer Licht war im Jahre 1756 an den Folgen der erlittenen Mißhandlungen gestorben. Nach seinem Tode verließ seine Witwe mit ihrem Vieh und ihren Mobilien heimlich Eichberg, um nach Neu-Lewin zu entweichen. Ihre Flucht war aber beinerkt worden. Sie wurde von den Trabanten des Fürsten verfolgt, an der Drage überfallen und ausgeplündert, sodaß sie arm und mittellos in Neu- Lewin ankam. Dort wurde ihr die 90-Morgenstelle über- wiesen, die ihrem verstorbenen Mann zugedacht war. Die eingewanderten Polen wurden in Neu-Lewin, Neu- Trebbin, Neu-Lietzegöricke, Neu-Wustrow, Neu-Rüdnitz und Neu-Cüstrinchen angesetzt. Eine rein polnische Kolonie scheint Neu-Reetz zu sein. Die polnischen Kolonisten, unter denen sich einige zweifel- hafte Elemente befanden, scheinen sich Haerlems Vertrauens nicht erfreut zu haben. Als ihn die Neu-Reetzer um einen Vorschuß angingen, wies er sie ab; denn er befürchtete, „sie möchten dann vielleicht davon gehen, zumal viele darunter nicht die fleißigsten und besten Wirte zu sein scheinen." Die Nachkommen jener „Polen" fallen noch heute unter der Bruch- bevölkerung durch ihren dunklen Typus auf. Die eingewanderten Schweizer, französische Emi- granten, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) nach den Ufern des Genfer Sees ausgewandert waren, wurden von dem Grafen v. Kamecke in Neu-Bliesdorf, Vevais und Beanregard angesetzt. Die französischen Ortsnamen er- klären sich aus der Vorliebe des Grafen für französisches — 61 — Wesen. Württemberger ließen sich vorzugsweise in Neu-Lietzegöricke nieder; Hessen-Darm st ädter dagegen finden wir in größerer Anzahl in Neu-Lewin. Es waren intelligente, nicht unbemittelte Leute. Sie kamen teilweis aus den „Wüstendörfern" im Amte Zinna, woselbst sie sich wenige Jahre zuvor angesiedelt hatten. Da sie sich dort nicht toohl fühlten, verkauften sie ihren Hof und begaben sich ins Oderbruch. In den alten Kolonistenakten finden wir darüber folgende Aufzeichnungen: 24. 9. 1754. Der Kolonist Behnert aus Clausdorf im Amt Zinna wünscht ein Etablissement an der Oder. Ihm verbleiben nach Verkauf seines Hofes und Abzug seiner Schulden noch 42 Taler. 14. 5. 1755. Der Schulze Pfeiffer zu Clausdorf im Amt Zinna verkauft seinen dortigen Kolonistenhof an den Sachsen Hecht für 350 Taler und will sich mit dein Gelde an der Oder ankaufen. 18. 5. 1755. Der Kolonist Adam Helgenberger, ein Hessen-Darmstädter, verkauft seinen in Clausdors belegeneu Hof an einen Sachsen und siedelt sich in Neu-Barnim an. Der Mecklenburger August Sternberg hatte sein Versprechen, mit 50 Paar Personen ins Bruch zu kommen, gehalten. Die eingetroffenen Mecklenburger, welche aus der Gegend von Neu-Bukow und Kröpelin kamen, wurden in Neu-Falkenberg, Ratsdorf, Neu-Burgwall und Neu-Trebbin augesetzt. Die eingewanderten Harzer wurden in Neu-Kietz und Neu-Medewitz untergebracht. Von ihnen sagt Haerlem, sie seien hübsche, junge Leute, nur herzlich arm und leicht gekleidet. Sechs Nagelschmiede und Schlosser waren aus dem Gotha scheu gekommen und hatten sich in Neu-Lietzegöricke niedergelassen. Für sie hatte der König das Reisegeld bezahlt. Sechs andre Familien aus Gotha kamen nach Potsdam, logierten im ,/Schwarzen Bären" und blieben dem Wirt an Zehrungskosten 12 Taler schuldig. Sie baten den König um 6‘2 — Bezahlung ihrer Schuld. Dieser aber weigerte sich zu zahlen und verwies die Schuldner au die Etablissements-Kasse zu Wriezen. Der Zuzug fremder Ansiedler dauerte bis zum Jahre 1760. Im ganzen waren 6137 Personen, unter denen sich 271 Knechte und 390 Mägde befanden, eingewandert. Das große Werk war in seinem Rohbau vollendet, und mit innerer Befriedigung konnte der weise Baumeister v. Haerlem seinem königlichen Bauherrn berichten: „Die hier ausgeführte Bewallung sucht in des Königs Landen ihresgleichen. Die alten, ehemaligen Fischer wissen sich anstatt der Fischerei mit Ackerbau und Viehzucht sehr gut zu nähren, auch die neuen Kolonisten beginnen sich aufzunehmen. Diese würden jedoch bereits in weit besserer Ordnung sein, wenn die meisten nicht in gar zu pauveren Umständen an- gelangt wären und deshalb zu ihrer Einrichtung etwas mehr Zeit gebrauchen. Doch werden sie hoffentlich bald zu Stande kommen und ist mit Grund zu vermuten, daß diese Etablissements wohl bestehen werden, weil deren Boden fast durchgehends gut ausfällt, wenn dieselben nur nicht durch besorgliche Beunruhigungen in ihren Wirtschaften gestört werden und sie mit dem schädlichen Viehsterben verschonet bleiben, welches beides der liebe Gott in Gnaden verhüten wolle." Von nachstehenden Kolonistenfamilien hat sich auf Grund der alten Besiedlungsakten das Land, bezw. der Ort ihrer Herkunft mit Sicherheit feststellen lassen: *) Reformierte Pfälzer. Peter Karp, Simon Kistner, Heinrich Uebel, Sebastian Rose, Christian Kunkel, Johann Klug, Franz Hoff, Peter Schuch, Jürgen Müller, Melcher Feldberger, Balzer *) Biele der aufgeführten Namen habe» im Laufe der Zeit wesentliche Abänderungen erfahren. — 63 — Schumann, Christian Fiedler, Jacob Adrian, Jacob Beyer, Joseph Boehl, Philipp Rodrian, Simon Neubauer, Michael Strösser, Jacob Ring, Friedrich Kurtz, Philipp Kloß, Samuel Hölzer, Michael Schur, Christian Nebel, David Hempel, Georg Sieling, Conrad Heilmann, Johann Francke aus Alhenbrück, Jacob Kühner, dgl., Peter Greuner, dgl., Christian Tiehl, Philipp Wagenhorst, Conrad Richel, Martin Colbe, Conrad Colmar, Friedrich Rung, David Schneider, Martin Lauter, Johann Pfalzgraf, Peter Dietrich, Adam Lorenz, Caspar Weiter, Caspar Geyer, Johann May, Martin Emmer, Christian Moser, Matthias Käfer, Georg Martin, Peter Welk, Daniel Moewes, Jacob Roeper aus dem Hunsrück, Johann Roeper, dgl., Ulrich Scheer aus Dahlsheim, Conrad Walter, Conrad Fabel, Johann Hos- forth, Andreas Messer, Jacob Printz aus Bermersheim, Georg Ochs, dgl., Peter Lindner aus Nieder-Flörsheim, Johannes Groh aus Albig, Franz Schall aus Heddesheim, Jacob Hartmann, dgl., Joh. Ewald aus Gundersheim, Joh. Schlösser aus Gundersheim, Johann Haarseitel aus Erben- dorf im Steinwald, Georg Unger aus Mainhernheim in der Oberpfalz, Gottfried Keller, Christian Schnell, Peter Ricks (Rex), Philipp Henne. Lutherische Oesterreicher. Michel Leider, Joseph Bell, Johann Gräffling, Johann Prinhitsch aus Flitsch am Jsonzo, Johann Wentzel, Caspar Graffschafst, Thomas Ritsch, Valentin Rauter, A. Winter, Johann Liesinger, Christian Schertzer aus Beystadt in Kärnten, Simon Unterwalder, Johann Schwartzmüller, Michael Auerbach, Simon Führer, Adam Nußbäumer, Joh. Kieselberger, Matthias Ganter, Peter Weiße, Matthias Stamminger, Matthias Hänninger, Christian Page, Matthias Babst, Joseph Bauer aus Bieberstein, Johann Tarnauer aus Hall a. Kremz, Simon Hintereger, P. Auter, Andreas — 64 Hosfwimmer, Nicolaus Hallwacl)s, Johann Kirchgatter, Jacob Schritter, Philipp Wagener, Stephan Wehler, Thomas Gustehoffer, Johann Misselberger, Stephan Temessel, Joh. Hasselberger aus Ehrndorsf, Joseph Holtzinger, Egidi Brand- meyer, Jacob Hinterscher, Johann Oberjurge, Wlv. Burg- staller, Andreas Unterhuber, Johann Wessel, Wolfgang Misselberger, Wolfgang Fittinger, Georg Auerbach, Barbara Oberwinter, Maria Partzer, Jacob Jenuel, Maria Pctschnick aus Bieberstein, Johann Sellasch aus Ungarn. Lutherische Polen. Johann Breitenfeld aus Zützer, Caspar Breitkreutz aus Eichberg, Johann Breitkreutz, dgl., Christoph Breitkreutz, dgl., Johann Lorenz Baumgärtner, Chr. Borkenhagen, Chr. Krüger, Johann Schiewe, Johann Melling, Martin Blieske (Lieske), Paul Böse aus Kosecze, Johann Preuß, Johann Schlender, Christian Sommer, Johann Bütow, Martin Hübner aus Rattai, Johann Tesmer, Gottfried Mittelstaedt, Johann Machenow, Friedrich Teske aus Eichberg, Ludwig Länger, Johann Menske, Ludwig Beblitz, Joh. Kanitzke, Michael Goltz vom Roschnower Holländer b. Obornik, Michael Schornstein, Christian Schneider, Michael Altmann, Daniel Lutter, Michael Lempe aus Neuhöfen, Johann Lutter aus Selchow, Christian Vetter, Christian Hennig, Michael Winter- haak, Matthias Züllich, Michael Liick, Lorenz Verch, Christian Lehmann, Daniel Zülcke aus Drage, Erdmann Schwankt, Joh. Schultz, Gottfried Rabsch (Raasch), Christian Ruth, Christian Henseke, Christian Krentz, Christoph Schlierecke, Friedrich Wollin, Ludwig Bülle, Friedrich Kißling aus Selchowcrhammer, Christ. Priever, Gottl. Frohloff, Martin Radecke, Martin Krentz aus Klein-Lubs, Johann Mischke, Johanit Alfs (Alph) aus Eichberg, Joh. Schuck, Chr. Arendt aus Podanin, Joh. Marten aus Ascherbude, M. Weckwerth aus Althütte, Joh. Grüneberg, Martin Paegelow, Heinrich Schmidt, Peter Krüger, Joh. Witte, Chr. Sperling, M. Hintze, Hans Buchholz aus Radosien, Michael Dreger aus Belsin, Fr. Lenz aus Straduhn, Ww. Licht aus Eichberg, Johann Lange, Christian Zahn, Paul Raabe, Christian Tornow aus Neuhöfen, Martin Samler, Johann Lück, Michael Rach ans Eichberg, Johann Dechsheimer, Johann Kloninger, Martin Kottke, Friedrich Götze, Johann Kobin, Christian Kleinann, Johann Liesseid, Johann Hamsche, Johann Stabel, Christian Hoewig, Johann Maske, F. Metzke, Martin Brückmann, Gottlieb Jaenicke, Martin Gebert (Gabbert), Joh. Petri, Martin Breitkreuz aus Putzig, Joh. Sleffen, Chr. Stabenow, Fr. Bausch. Reformierte Schweizer. Heinrich Maire, Daniel Maire, Daniel Brand, W. Duco- inund, Jacob Leuenberger, Ludwig Faber, Daniel Pcrret, David Prevot, Jacob Dumont, Ludwig Girant, Ludwig Gersin, Peter Haufert, W. Mathd, Moses Pezelett, Heinrich Weißbrodt, David Garmatte, Heinrich Diacon, Daniel Wilmge, Heinrich Grunert, Gottfried Wallieser, Friedrich Tucomund, Peter Guinand, Carl Bradat, Gabriel Bage aus Orleans. Lutherische Württemberger. Matthias Zimmermann, Beruh. Getter, David Meisner, Johann Streeb, Michel Kleinbeck, Johann Speidel, Johann Hauck, Daniel Ellwanger, Georg Heuer, Johann Hauck, Matthias Weißer, David Sauder, Georg Stahl, Jacob Stahl. Adam Scharr aus Cannstadt. — 6ß — Reformierte Hessen-Darmstädter. Adam Helgenberger, Johann Bruchmüller, Georg Pfeiffer, Johann Mäuling, Fr. Behnert, Johann Semmler, Jacob Pfeiffer, Fr. Wilhelm Moutoux, Andreas Neubauer, Anton Kolbe, Konrad Kraatz, Christian Wolfs, Wilhelm Fuchs, Michael Schellhaase. Lutherische Mecklenburger. Johann Holtz, August Sternberg, Ludwig Köhler, Joh. Unrath, Gottfried Werner, Johann Schröder, Heinrich Rickmann, Samuel Kemke aus Fürstenberg, Johann Tharow aus Neu-Strelitz, Johann Pirwitz, Fr. Unrath, Johann Baumann. Lutherische Sachsen. Adam Hannemann, Jacob Hecht, Salomon Dannert, Christian Faber, Johann Triebusch, Anton Lemmer, W. Kretzer, Johann Klinge, Johann Voigt, Adam Teichert, Johann Berber, Johann Beyer, Johann Schulze, Anton Weyland, Franz Friedrich, David Palm, Christian Fiedler, Georg Kolling, Christian Lenz, Johann Liebke aus dem Harz, Johann Kleinschmidt, dgl., Anton Frebe aus Walters- dorf b. Kropstädt. * * * Aus anderen Orten waren: Philipp Werner aus Bayreuth, Leonhard Rochhöfer aus Nürnberg, Anton Lauert aus Bayern, Andreas Thieme aus Hamburg, Matthias Wirth ans Trier, Johann Dietrich Rhein aus Uentrop in Lippe, Gottfried Höpfner aus Leipzig, Jürgen Lette aus Dänemark, d'Escleaux aus Friedericia, Gottfried Geisler aus Oberschlesien, Martin Borchert- aus Berkholz b. Berlin, Fr. Paulsen aus Balz b. Vietz. 5» — 67 — Die drei letzten Kolonisten waren, obwohl sie in könig- lichen Dörfern wohnten, keine Ausländer. Geisler hatte sich unter falschen Angaben eingeschlichen; Borchert und Paulsen aber wurden von Haerlem angesetzt, weil es der unruhigen Kriegszeit wegen an Ausländern mangelte. Kirchen und Schulen. Zur Befriedigung der geistlichen Bedürfnisse der Bruch- bevölkerung ließ Friedrich der Große sechs neue Kirchen erbauen und zwar in Neu-Cüstrinchen, Neu-Tornow, Neu- Lietzegöricke, Neu-Lewin, Neu-Barnim und Neu-Trebbin. Die Fertigstellung der geplanten Gotteshäuser, wie auch die Anstellung der nötigen Pfarrer, ließ jedoch lange aus sich warten. Schon im Jahre 176-1 forderte der Staatsininister v. Gerlach, daß mit aller Attention darauf gesehen würde, daß die neuen Dörfer ihre Prediger, Küster und Schulmeister ohne Zeitverlust erhielten. Der nötige Fonds dafür wäre vorhanden. Wenn die Kirchen nicht überall erbaut werden könnten, so sollte vor der Hand in Privathäusern Gottesdienst gehalten werden. Das Angelegenste jedoch wäre, daß die Kinder unterrichtet ivürden und nicht wie wilde Menschen aufwüchsen. Auf eine etwas ungnädige Anfrage des Königs nach der Ursache der Bauverzögerung berichtet 1765 der Oberst v. Petri aus Freienwaldc: „Der Bau der besagten Kirchen kann nicht wirksam betrieben werden; denn es fehlet an Kalk, und den Ziegelstreicher mit 5 Gesellen, so aus Neiße kommen sollten und schon mit Reisegeld ausgerüstet waren, hat man in Breslau angchalten und zur dasigen Arbeit gezwungen." Als Friedrich 11. im Frühjahr 1775 in Freienwaldc weilte und von den dortigen Höhen aus bemerkte, daß die Kirche in Nen-Cüstrinchen noch immer unvollendet dastand, ward er zornig und befahl dem Obersten v. Petri, den — 68 — unfertigen Turin unverzüglich Herstellen zu lassen, „sonst soll Er sich hüten." Die besagten Kirchenbauten wurden in den Jahren 1772 bis 1776 vollendet. Bis zum Jahre 1766 ver- richteten die Prediger aus Wriezen und Lietzegöricke die gottesdienstlichen Handlungen in den Bruchgemeinden. In diesem Jahre wurden in Neu-Cüstrinchen der Prediger Nusche und in Neu-Lewin der Prediger Licht angestellt. Die end- gültige Regelung des Kirchenwesens erfolgte sedoch erst nach der Fertigstellung der Gotteshäuser. Neu-Cüstrinchen, Neu- Lewin und Neu-Trebbin waren zum Sitz der neuen Pfarrer ausersehen. Die übrigen Kirchengemeinden sollten als Filialen gelten. In der großen Parochie Niederbruch (Neu- Cüstrinchen) wurden ein lutherischer und ein reformierter Pfarrer angestellt. Beide sollten gleichstehend sein und amts- brüderlich mit einander verkehren; jedoch sollte der lutherische Geistliche den Titel „Oberpsarrer" führen. Während in Neu- L e w i n eine lutherische Pfarrstelle eingerichtet wurde, sollte in Neu-Trebbin ein reformierter Pfarrer amtieren. Die E i n k ü n f t c der ersten Brnchpfarrer bestanden in einem Bargchalt von 200 Talern, den Erträgen des ca. 60 Morgen großen Pfarrackers und den stipulierten Akzidentien. Am 19. September 1822 traten die unteren Bruch- gemeinden der Union bei. Neu-Lewin hatte sich schon am 81. Oktober 1817 der unierten Landeskirche angeschlossen. Die Gemeinde Neu-Barniin zeigt noch heute einen konfessionellen Charakter. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erhielten Neu-Tornow und Neu-Lietzegöricke eigene Pfarrer. Die neuangestellten Prediger waren gehalten, die Auf- sicht über die in ihren Diezösen liegenden Schulen auszuüben. Das General-Landschul-Reglement vom 12. August 1768 bestiminte darüber folgendes: „Die Prediger haben die Schulen ihres Ortes wöchentlich zweimal, bald vormittags, bald nach- mittags zn besuckicn und nicht nur die Information des — 69 — Küsters oder Schulmeisters anzuhören, sondern auch selbst Fragen zu stellen. Auch müssen sie monatlich in der Pfarr- wohnung mit den Schulmeistern eine Konferenz halten." In jedem Kolonistendorfe wurde bei seiner Gründung eine 10-Morgenstelle zur Schulmeisterwohnung bestimmt. Später wurde in den Dörfern Neu-Cüstrinchen, Neu-Rüdnitz, Reu-Trebbin und Neu-Barnim neben der lutherischen Schul- stclle noch eine reformierte eingerichtet. Mit der Besetzung der Lehrerstellen wurde jedoch bis zur Beendigung des siebenjährigen Krieges gewartet. Die e r st e n Schulhalter hatte Friedrich der Große aus Sachsen kommen lassen. Es waren Gottfried Höpfner und sein Sohn Johann Andreas Höpfner. Sie kamen aus Leipzig und wurden am 1. April 1763 inNeu-Lietze- g ö r i ck e und Neu-Cüstrinchen als Küster und Schul- meister angestellt. Sie erhielten jeder eine 10-Morgenstelle und monatlich 12M> Taler Gehalt. Beide haben jedoch nicht lange im Oderbruche amtiert; während der Sohn am 16. Oktober 1763 starb, wurde der Vater am 25. Oktober 1763 durch den Tod hinweggerafft. Die ersteil Schulmeister rekrutierten sich aus der ehr- sainen Zunft der Schneider und dem Stande der blessierten Krieger. Es genügte den danlaligen Anforderungen, wenn die Bewerber einige Monate das kurmärkische Küster- Seminar zu Berliil, auf denl sie auch im Seidenbau unter- wiesen wurden, „frequentiert" hatten. Die zum Schuldienst tauglichen „Subjekte" wurden den Kgl. Kammern von dem Generalleutnant v.Colong, Intendanten der brandenbnrgischen Armee, und dem Realschuldirektor zu Berlin zur Bestätigung vorgeschlagen. Die V o k a t i o n wurde den Ncuangestellten vom Bruch- amte Wriezen, dem das Patronatsrecht über die Bruchschulen zustand, ausgefertigt und hatte in der Regel folgenden Wortlaut: „Wir vociren ihm auch hiermit und Kraft dieses, daß er der Jugend, so ihm anvertrauet wird, mit allem Fleiß — 70 — obwarte, und mit größter Sorgfalt im Christenthum unter- weise, besonders das Kgl. General-Schul-Reglement vom 12. August 1763 vor Augen habe, und die neueste Schul- Ordnung auf das genaueste befolgere, dem Kgl. Amte gebührenden Respekt bezeige, vornehmlich aber sich eines untadelhaften und friedlichen Lebens-Wandels befleißige, sowie es einem Christlichen Schulhalter eignet und gebühret, und er sowohl gegen Gott als der Obrigkeit zu verantworten sich getraue. S t r u v e." lieber das E i n k o m m e n des Schulhalters heißt es in einer Gehaltsordnung aus dem Jahre 1765: „Die mit diesem Schulhalterdienst fixirten Emolumente bestehen in einer Colonisten-Wohnung von Zehen Morgen, wovor er nicht das geringste zu entrichten hat, nur das er den dazu gehörigen Oderdamm und die nöthigen Grabens unterhalten muß. An Gehalt bekomnit er, was seine Vor- fahren genoßen. Die Accidentien der Küster werden erst geregelt, wenn die Prediger angekommen sind." Das Einkommen des Küsters in Neu-Lietzegöricke setzte sich 1767 ans folgenden Positionen zusammen: „1. Von einer jeden Familie bekommt der Küster jähr- lich 1 Gr. 2. Von einem jeden Schornstein jährlich Holtzgeld 6 Gr. und die nöthigen Holtzfuhren. 3. Von einer Hochzeit 6 Gr. und einen Kuch. 4. Für eine Kindtause 3 Gr. und die Mahlzeit oder 6 Gr. 6. Fürs Danken wegen einer Sechswöchnerin 2 Gr. 6. Die Briefe zu schreiben, das Stck. 1 Gr. 7. Von einer Leiche mit der Collecte 6 Gr. 8. Schulgeld wird gegeben, wie es im Land-Schul- Reglement vorgeschrieben ist." Das Gehalt des Schulhalters zu Kietz wurde 1771 durch folgende Ordnung geregelt: „l. Aus jedem Hause Quartaliter 3 Gr., von 16 Wirthen jährlich 8 Thaler. — 71 — 2. Für neue Jahr singen von jedem Wirth 2 Gr. 3. An Schulgeld für ein Kind wöchentlich 6 Pf. und für ein Kind, fa schreiben und rechnen lernt, 1 Gr. -l. Ein Schwein und 6 alte Gänse zu halten. 5. Frehe Holtzfuhre aus der Heyde. 6. einen Garthen und 7. 4 Morgen Wiesenwachs und 2 Kühe auf die Weyde oder dafür 12 Thaler." Infolge der großen Ueberschwemmungen im Winter 1770 und im Frühjahr 1771 verloren die Bruchbewohner Hab und Gut und gerieten in die bitterste Armut, sodaß es ihnen unmöglich war, den Schulhaltern das Ihrige zu verabfolgen. Letztere gerieten nun ebenfalls in große Not und baten den König wiederholt um eine Unterstützung, da sie sonst an den Bettelstab gebracht würden. Anfangs wurden sie zur Geduld und Ruhe ermahnt, später aber erhielten sie einen Teil der Pacht aus den noch freien Kirchenländereien. Am 17. Februar 1775 wurde das Einkommen aller Schul- meister auf 75 Taler festgesetzt, und zwar sollten sie an barem Gelde 60 Taler aus der Etablissements-Revenüen-Kasse erhalten. Das Dienstland wurde ihnen mit 15 Talern an- gerechnet. Zur Bezahlung eines Schulgeldes durften nur die Hansleute herangezogen werden', die Kolonisten waren frei davon. Der geringen Besoldung und der dürftigen Vorbildung der Schulmeister entsprach auch ihr gesellschaftliches Ansehen. Amtlich wurden sie mit den Hirten und Nachtwächtern auf eine Stufe gestellt, und 1770 beschwerten sich die Neu-Barnimer Lehrer Unger und Hueff über ihren „boshaften" Schulzen, daß er sie „wie einen Narren, fast als einen Hund estimiret." Nach Gottlieb Höpfners Tod wurde K o l l m a n n mit dem Küsteramt in N e u - L i e tz e g ö r i ck e betraut. Dieser verließ 1773 einer sittlichen Verfehlung wegen heimlich seine Stelle, um die sich dann die beiden Präparanden Johann — 72 Lehmann und Conrad Piper bewarben. Sie wurden von dem Ober-Konsistorialrat Silberschlag dem Prediger Berger zu Liehegöricke zur Prüfung zugesandt. Diese Prüfling fand am 16. Oktober 1773 in Gegenwart der ganzen Gemeinde in der Kirche statt. Lehniann erwirkte sich folgendes Zeugnis: „Johann Lehmann ist schlecht im Singen, affectirt so sehr beim Ablesen, das; er dadurch lächerlich wird und weis; garnichts vom Catechisiren und wenig vom Rechnen. In: Schreiben hat er aber eine Fertigkeit." Seinem Rivalen Conrad Piper wurde folgendes Zeug- nis ausgestellt: „Conrad Piper singet und liefet gut, verstehet das Cetechisiren, betet in der Kirche aus den: Hertzen zur Er- bauung aller Anwesenden und sein gantzes Betragen ist sittsam und bescheiden. Seine Hand im Schreiben ist nur mittelmäßig." Die beiden Bruchbcamten Struve und Graeve zu Wriezen befürivorteten bei der Kgl. Kammer die Anstellung Lehmanns, und da sie befürchteten, die Neu-Lietzegöricker Kolonisten, die um den p. Piper gebeten hatten, möchten dem neuen Lehrer das Leben gar faiter machen, ermahnten sie dieselben dringend, jede,: unnützen Streit zu vermeiden. Lehmann hat sich später des in ihn gesetzten Vertrauens nicht würdig gezeigt. Er wurde seines anstößigen Lebenswandels wegen entlassen. Nach Höpfner Sohn verwaltete der Präparand Fr. P l o e tz e auf kurze Zeit die lutherische Lchrerstclle in Neu-Cüstrinchen. Nach ihm wurde von dem Ober- Konsistorialrat Hecker *) der Küster Johann Friedrich Rh e i n aus Libbenichen für die Stelle in Vorschlag gebracht. Von ihin schreibt H.: „Rhein ist in der Information und im *) Job. Jul ms Hecker, Gründer der Realschule und des Lehrerseminars in Berlin und Verfasser des General - Landschul - Reglements, starb am 29. Juni 1768. — 73 — Seidenbau recht geschickt und von anständiger Conduite und gutem Wandel." Rh. wurde zum 16. Dezember 1766 an- gestellt. Da sich aber das Cüstrinchener Schulhaus in sehr schlechtem Zustande befand, auch die Stube nicht gedielt war. so trat er erst am 16. April 1767 seine neue Stelle an. Rheins Sohn, der Kantor I o h. Dietrich Rhein, hat bis zum Jahre 1854 in Ehren seines Amtes, das er 1792 von seinem Vater übernommen hatte, gewaltet. 1770 wurde in Neu-Cüstrinchen neben der lutherischen noch eine reformierte Schulstelle eingerichtet und mit Meister Ziegler besetzt. Seine Nachfolger waren Friedrich I u n g m a n n und Ludwig Schlegel. Der erste Lehrer in Kgl. N e u - R e e tz war Georg Christian i. Mit ihm war die Gemeinde „ungemein wohl zufrieden." Von dem Lehrer S ch e f f l e r zu N e u - B a r n i m wird dagegen berichtet, daß er eines groben Unfugs wegen mit seiner Gemeinde in große Uneinigkeit geraten wäre und 1767 seine Stelle eigenmächtig verlassen hätte. Hecker empfahl für ihn den Kolonisten Georg Um g e r aus Mainbernheim im Anspachischen. Nach bestandenem Examen vor dem In- spektor Kretschmann zu Wriezen und dem Prediger Licht zu Neu-Lewin wurde er angcstellt. Sein reformierter Kollege war I o h. Matthias Lu e f f. Von ihm heißt es, er sei ein Schwärmer gewesen. Die große Ueberschwemmung im Winter 1770 hatte die beiden Neu-Barnimer Lehrer mit ihren Haustieren auf den Hausboden flüchten lassen. Hier stimmten sic ein jammer- valles Klagelied an, das sie dem König zusandten. In be- wegten Worten schildern sie ihre traurige Lage. Das Wasser stehe über 2 Fuß hoch unter ihnen in den Stuben, und der Sturmwind heule schon seit 9 Tagen um das schadhafte Haus. Se. Majestät möge sich ihrer in Gnaden erbarmen, sonst seien sie Bettler. - 74 Diese „betrübliche Wassersnot" hat auch die Neu- Trebbiner Lehrer Fischer und Stoppel ihrer Hab- seligkeiten beraubt und sie mit allen Einwohnern aus dem Dorse Vertrieben. Stoppel hat noch viele Jahre in Trebbin gewirkt, bis er später in eine heftige Gemütskrankheit verfiel. Im Jahre 1783 unternahm er mit seiner erwachsenen Tochter eine Besuchsreise nach Driesen; in Zantoch entwich er heimlich und ward nicht mehr gesehen. Um seine Stelle bewarben sich dann der Kolonist Beyno aus Copilicken und der Kriegsinvalide Stengel aus Lohburg. Da ihnen aber die armseligen Schulverhältnisse in Trebbin nicht zusagten, traten sie zurück, und es wurde nun der Seminarist Seydel angestellt. Für die beiden kleinen Gemeinden N e u - K i e tz und N c u - M e d e w i tz wurde nur eine Schulstelle errichtet und mit S ch o j a n besetzt. Dieser verzog 1770 nach Clausdorf, und D o r st aus Quilitz übernahm seine Würden und Bürden. Er muh aber nur kurze Zeit hier gewesen sein; denn bald finden wir einen D a u i e l M e h l i tz, der aber auch schon am 18. März 1787 gestorben ist. Sein Nachfolger war Gottfried Koch, dem der Direktor der Realschule zu Berlin, mit welcher das damalige Lehrerseminar verbunden war, ein glänzendes Zeugnis ausgestellt hatte. In Neu-Wustro w amtierte das sehr wenig tüchtige „Subjekt" D a v i d S t e i n h a u s e u aus Arendsdorf. Ueber ihn beschwerte sich 1775 die Schulgemeinde, er sei ein schlechter Schulhalter, wegen seines inenschenscheuen, wunderlichen Wesens machen die Kinder mit ihm, was sie wollen. Beim Ablesen der Sonntags-Nachmittagspredigt halte er oft an und ziehe seine Uhr auf, sodaß die Zuhörer zuweilen ein lautes Gelächter aufschlügen. Zudem zeige er sich bei Hochzeiten und Kindtaufen sehr trunkfällig. Die Schulbehörde wies dem Steinhaufen den Präparanden Hose als „adjunct" zu; diesen mußte St. besolden. Im Jahre 1778 erbot sich letzterer jedoch, gänzlich von seinem Amte zurückzutreten, falls ihm — 75 ein Ruhegeld von 24 Talern und seitens der Gemeinde 8 Scheffel Roggen bewilligt würden. Solches geschah. Hose srarb schon am 21. Dezember 1783. Die Neu-Wustrower verlangten nun einen Schneider zum Schulmeister, den sie auch in dem Berliner Bürger Peter Habekost erhielten. Ter erste Lehrer und Küster in N e u - L e w i n war Martin Jüterbock. Dieser starb am 21. Februar 1772. Sein Nachfolger wurde Siegfried Kiesel aus Neu- Nüdnitz, ein mit vielen schweren Blessuren belästigter Husar, der nach in Neu-Lewin eine scharfe Klinge schlug, aber auch einen guten Trunk liebte. Nachdem er dienstunfähig geworden war, wurde am 13. Januar 1787 dem Präparandeu I a e n i s ch das Amt übertragen. Kiesel hatte allerdings um den Soldaten Brastrup gebeten', denn dieser hatte ihm versprochen, seine älteste Tochter zu heiraten und für seine Familie zu sorgen. Dessen schlechte Zeugnisse hatten jedoch seine Anstellung unmöglich gemacht. Der erste Schulmeister in Neu - Glietzen — sein Name ist unbekannt — ging 1772 als Küster nach Oderberg. An feine Stelle setzte der Ober-Konsiftorialrat Silberschlag den I o h. Heinrich Sperber. Während in Neu-Tornow Johann Francke den ersten Schuldienst versah, zügelte in Heinrichsdorf Ephraim Baum die wilde Jugend. Ausgaben und Einnahmen. Für die Trockenlegung und Besiedlung des Oderbruches hat Friedrich der Große etwa 1 Million Taler verausgabt. Die Kosten der laufenden Arbeiten wurden aus einer Oder- kanal - Baukasse und einer Etablissements - Revenüeu - Kasse gedeckt. Erster Kassenrendant war der Bürgermeister Fritze in Wriezen. In der Zeit von 1749 bis 1754 verwaltete der — 76 — Oberamtmann Berg in Neuenhagen dieselben. Von ihm liegt folgender Rechnungsauszug (1. Oktober 1764) vor: Ausgabe». Gegen stand Thlr. sgr. 4 An die Entrepreneurs Gebrüder Rottengatter für die übernommenen Damm- und Canal-Arbeite» .... 30246 10 Zur Reparatur der im Frühjahr 1751 vom großen Wasser beschädigten Dämme Key Wutzen 753 14 6 Zur Ausbringung der unterhalb der Wutzencr Berge angesetzten Sandbank 8580 16 11*/* Zur Bekleidung des neuen Oderdammes mit Faschinen 1640 7 9 */a Zur Coupirung der aus dem Oder Canal gehenden Laken und Grabens, desgl. zur Bepstanzung des Vor- landes oberhalb des 'krummen Ortes mit Wehden. 2040 23 8 Zur Ausgießung, Ableitung und Absaugung des Wassers aus dem Canal und Nachräumung der Vorgrabens. 2504 16 5 Zur Erbauung der neuen Brücke über den Oder Canal zwilchen Zeckerick und Lietzeqöricke 1291 8 1'/- Bcy Coupirung dreier kleine» Rchnen Brüche ans die Güstcbicser. Alt-Wrietzcner und Tornower Reviere. 128 13 3 Zur Reparatur der im Winter 1752 bey Dammbrüchen, großem Wasser und Eisgang schadhaft gcivordcnen Wrietzener Odcrdäinme 3 3 Zur Coupirung der beyden im Martio 1751 gewescneii großen Wasser ans die Kietzer, Medcwitzer, Gauler, Rauster und Tornower Revieren entstandenen Brüche 9 9 Beh Anfertigung^der Sommer Dämme von Güstcbiese ab aus beyden Schien entlängst der Oder 15758 19 8 Beh Coupirung^deS Prawitz Grabens 1592 14 8-/. Insgemein nach letztem Exiract 5332 20 6 Bey Coupirung der durch Eisstopfungen im Winter 1754 in den Sommer Dämmen entstandenen Brüche.. 2311 6 1V* Zur Erhaltung des Hauptdammes .bcy den im Win- ter 1751 im Oder Canal entstandenen Eisstopfungen 360 21 11*/. Summe aller Ausgaben 67551 — '/- Einnahmen 62054 4 1 Vorschuß 5496 19 11'/, 77 — Diesen Vorschuß hatte man der Etablissements-Revenüen- Kasse entnommen. Wegen vorgerückten Alters und großer Beschwerlichkeit der Kassenführung legte der Oberamtmann Berg in: Herbst 1754 die Verwaltung der Kassen nieder. Dieselbe wurde jetzt dem Marsch-Kommissar und Kreiskassen-Rendanten S t r u v e in Wriezen gegen eine zu leisteude Kaution von 1000 Talern übertragen. Als Dienstentschädigung stand ihm Vz Proz. aller Umlagen zu. Struve scheint sich nicht immer des all- gemeinen Vertrauens erfreut zu haben; denn über seine Geschäftsführung sind dein König wiederholt Klagen zu- gegangen. Im Jahre 1766 beschwerten sich sogar „sämtliche neue und alte Untcrthancn" bei Friedrich dem Großen darüber, daß „Se. Majestät wie auch die Colonisten von den Beamten betrogen" würden. Das Ergebnis der dieserhalb angeordneten Untersuchung, die der Kgl. Landrat v. d. Schulen- burg und der Bürgermeister Palm in Neustadt-Eberswalde geführt haben, ist unbekannt geblieben. Zu einer Belastung Struves hat sie jedenfalls nicht geführt. Den königlichen Kolonisten wurde vom jeweiligen nächsten Trinitatistage ab 1 Freijahr gewährt. Die „armen Leute" in Neu-Cüstrinchen, meist pfälzische Garnweber, blieben aus Haerlems Veranlassung bis Trinitatis 1760 zinsfrei. Nach Ablauf des Freijahres mußten die Kolonisten einen jähr- lichen Kanon von 16 Groschen für den Morgen an die Kgl. Bruchämter in Wriezen, Zellin und Neuenhagen ab- führen. Die Neu-Glietzener zahlten ihrer ungünstigen Lage wegen nur 9Vz Groschen für den Morgen. Die adligen Grundherren räumten ihren Kolonisten mehrere Freijahre ein, erhoben aber einen höhern Grundzins. Auf dem neugewonnenen Lande hatte man 7 Mühlen- g r u n d st ü ck e eingerichtet und an tüchtige Müller gegen Entrichtung einer Erbpacht ausgegeben. Die Jahrespacht für 1 Mühle betrug 2 bis 4 Mispel Roggen, die in Natura an — 78 — das Kgl. Magazin (Wriezen) abzuliefern war, oder an Geld 18 Taler pro Mispel. Die ersten Bruchmüller wgren folgende: Christian Stärke, 3 Mühlen bei Neu-Neetz, Daniel Fitting, 2 Mühlen bei Neu-Barnim, Christoph Müncheberg, 1 Mühle bei Neu-Lietzegöricke, Joachim Caspar, 1 Mühle bei Neu-Trebbin und 1 Mühle bei Alt-Trebbin, Friedrich Müller, 1 Mühle bei Neu-Glietzen, Jacob Lilienthal, 1 Mühle bei Neu-Tornow. Außerdem befand sich auf der alten Oder bei Neu-Tornoiv noch eine sogenannte Schiffmühle. Das Niederbruch war in zwei Jagdbezirke ein- geteilt. Den Bezirk links von der alten Oder hatte der Graf v. Kamecke für 42 Taler 18 Gr., den Bezirk rechts von der alten Oder der Schulze Biille in Neu-Lietzegöricke für 31 Taler 18 Gr. gepachtet. Zum Zweck der Aufstellung eines Etats bereifte der Kriegs- und Domänen-Rat Kriele wiederholt das Bruch und nahm Zählungen, Schätzungen und Messungen vor. Nach feinen Angaben wurde für 1763/64 folgender Etat aufgestellt: Hinnahme. Der jährliche Canon aller Colonisten.. .. 14781 Thlr. 14 Gr. 4 4 Die Pacht aus den 10 Herrcnwicsen.. .. 3256 „ 19 // 0 t, Mnhlcnpacht .. 618 „ - " ~ tt Jagdpachr 110 „ 8 ,/ ~ ft Fehrpachk V ~ 't Krugpacht " tr Die Pacht für die Scharfrichterey .... • 90 „ - „ — „ Summe aller Einnahmen 19372 Thlr. 17 Gr. 10 ^ „ „ Ausgabe» 1770 „ — „ — „ Neberschuö 17602 Thlr. 17 Gr. 10 4 Dieser Ueberschuß wurde anfangs zur Reparatur der Oderdämme verwandt, später jedoch als Einnahme auf den ordentlichen Etat des Kgl. Finanz-Direktoriums gesetzt. Am 31. Juli 1763 wurde im neuen Bruch die erste Vvlks- und Viehzählung vorgenommen. Dieselbe hatte folgendes Ergebnis: 31. Iuk» 1763. Nr. Name der Colonie CJ .Jd § H A » £ S «• O 1 2 § £ Q' 1 Neu-Trebbiu .... 130 745 262 742 805 27 779 57 654 2 „ Lewin .... 80 572 140 401 368 6 634 143 441 3 „ Riedewitz.... 38 193 30 124 120 — 532 72 139 4 // Kietz b. Wr.. 20 107 13 55 29 — 37 11 105 5 tr Barnim ... 91 f>17 142 520 370 10 493 36 607 6 tr Lietzeqöricke... 47 243 46 139 196 — 129 — 210 7 „ Wustrow .... 19 89 20 96 72 7 164 24 96 8 „ Reetz 58 311 77 166 171 — 326 — 156 9 „ Rüdnitz .... 69 306 84 245 84 — 237 - 254 10 „ Cüstrinchcn... 36 188 39 153 167 — 186 75 208 11 „ Glietzen.. 31 122 32 61 61 — 101 8 97 12 Tornow mit den beiden Mühlen 43 207 46 114 114 — — 8 159 13 „ Kietz b. Fr.... 16 81 13 g ? 9 9 ? 9 14 „ Burqwall... 7 22 6 22 12 — 6 — 20 15 Adlia Neetz mit den beiden Vorwerke» 59 330 72 222 266 9 574 17 246 16 la Lroustille. 8 39 22 23 23 _ 30 17 Jeckelsbruch u. Wnsing 14 60 12 120 120 — 60 30 60 u. s. w. Der königliche Bauherr. Der Urbarmachung des Oderbruches hat Friedrich der Große stets das größte Interesse entgcgengebracht. Um in allen Stücken des großen Werkes genau unterrichtet zu sein, ließ er sich regelmäßig über den Verlauf der einzelnen Arbeiten Bericht erstatten. Wiederholt bereiste er auch das Bruch, um sich persönlich über den Stand der Dinge zu informieren. Am 7. Juli 1752 meldete v. Hacrlem dem Obersten v. Retzow, daß in den nächsten Tagen der König aus Pommern über Königsberg zurückkehren und bei dieser Gelegenheit das Bruch besichtigen werde. Se. Majestät könnten alsdann im 80 — Amtshause zu Neuenhagen übernachten und von dort aus bis Güstebiese, am Toppenberg vorbei, zu Land und von Güstebiese bis Freienwalde zu Kahn das Bruch bereisen. Der König muß aber wohl seine Reiseroute geändert haben; denn am 6. Juli 1752 schreibt er an Retzow, er wolle von Schwedt aus zu Wasser nach Freienwalde fahren und dann das Bruch besichtigen. Retzow und sein Flügeladjutant Groschopp sollen ihin folgen. Diese Besichtigung des Oderbruches durch den König und sein glänzendes Gefolge hat am 15. Juli 1762 stattgefunden. Am 10. August 1756 finden wir Friedrich den Großen aber- mals in Freienwalde. Von den dortigen Bergen aus ließ er seinen Blick sorgenvoll über das junge Bruch schweifen; denn der Ausbruch eines großen Krieges stand nahe bevor, und bangend stieg in ihm die Frage auf: Ob des rauhen Krieges Horden dieses stille Tal durchziehen werden? Er kehrte dann »ach Berlin zurück und zag gegen das halbe Europa in den blutigen Streit. Was der König bangend geahnt, ward Ereignis. Feind- liche Kosakcnscharen durchstreiften im Sommer 1758 plündernd das Bruch, und die Lohe der brennenden Festung Küstrin rötete den nächtlichen Himmel. Da durcheilt am 24. August 1758 der große Kriegsheld mit seinen Truppen das bebende Bruch, überschreitet bei Güstebiese die neue Oder und schlägt am folgenden Tage die Russen in einer mörderischen Schlacht bei Zorndorf. Bis zum Jahre 1763 hat Friedrich der Große seine Schöpfung nicht mehr geschaut. Als aber der große Krieg beendet war und Friedens- und Frühlingsglocken durch das Land klangen, da suchte der König wiederum sein geliebtes Bruch auf, das er nun völlig bebaut und besiedelt vorfand. Von dieser Reise erzählt der Kammerrat Noeldechen folgendes: „Als der König in Freienwalde war, ließ er die beiden Kommissarien Petri und Haerlem nach dem Fährkrug be- scheiden. Nachdem er sich durch Fragen nach allen Einzelheiten Alte Kolonittcnkirche aus dem 18. Jahrhundert. 6 — 81 — der Kolonisation erkundigt hatte, dankte er ihnen für den bewiesenen Eifer. Inzwischen hatte sich eine große Zahl der von ihm ins Land gerufenen Kolonisten versammelt. Nicht mit wildem Geschrei opferten sie ihren Dank; mit ehrfurchts- voller Stille, mit unverkennbaren Merkmalen innerer Zu- friedenheit, reinlich gekleidet mit Weib und Kindern, blickten sie auf ihren erhabenen Wohltäter und Vater und brachten ihm so das Opfer ihrer ihm ganz ergebenen Herzen. Dem König war das ein rührendes Schauspiel. Bald ruhte sein Blick auf diesem frohen Volkshaufeu, bald wandte er ihn auf die reiche, fruchtbare Gegend, die mit den neuen Dörfern und zahlreichen Herden hier so besonders vorteil- haft in die Augen fiel, und dann rief er mit der innigsten Bewegung: Ich habe eine Provinz gewonnen!" Friedrich der Große hat später noch wiederholt das Oder- bruch gesehen. Sein Anblick erfüllte ihn stets mit großer Befriedigung. Die neuen Kolonisten erfreuten sich seiner beson- deru Huld und Gnade. Auf jede nur mögliche Weise suchte er ihre Daseinsverhältnisse erträglich zu gestalten, und häufig schärfte er seinen Beamten ein, die Ansiedler mit größter Milde zu behandeln. Jeder Klage dieser seiner „lieben und getreuen Untertanen" lieh er gnädig sein Ohr. Während überall die den Bauernstand drückende und hemmende Erb- untertänigkeit herrschte, sollten des Königs neue Kolonisten „von allen: Natural- und Zwangdienst, von allen Hand- und Spannfrohnden" frei sein. Friedrich der Große schuf durch seine Kolonisationen einen freien Bauernstand, durchdrungen von heißer Liebe zur Scholle, von hoher Begeisterung fürs Vaterland, und seine Schöpfungen blieben in der Folge nicht ohne Einfluß aus die wirtschaftliche und soziale Stellung des gesamten deutschen Bauernstandes. Ein Historiker schreibt: „Hätte Friedrich der Große während seiner laugen und wohltätigen Regierung auch weiter nichts bewirkt, als die Urbarmachung des Oderbruches, so würde man ihn schon darum unter die größten Wohltäter des 82 — Menschengeschlechts zählen müssen. Dieses Riesenwerk muß man sehen und genau kennen lernen, um die Größe des Mannes genau zu würdigen!" Die Nachkommen jener armen und doch glücklichen Kolonisten habeir das Andenken Friedrichs des Großen, des weisen Schöpfers des Oderbruches, dadurch geehrt, daß sie ihm in den Jubeljahren 1904 und 1905 in den großen Bruch- dörfern Letschin, Neu-Trebbin und Neu-Lewin kunstvolle Denkmäler errichteten. Herrlicher aber als diese Werke aus Erz und Stein strahlt des großen Königs Bild in jedes Brüches Herz! Des Königs Baumeister. Der Minister v. M a r s ch a l l und der Kommandant v. R e tz o w haben die Vollendung des großen Werkes, an dem sie so lebhaften Anteil genommen, nicht mehr erlebt. Der Tod hat sie beide vorzeitig hinweggenommen. Die beiden Männer, die sämtliche Kolonisationsarbeiten mit Treue und Fleiß geleitet, die sich um die Urbarmachung des Oderbruches ein anßerordentliches Verdiellst erworben haben und denen es vergönnt war, den Segen ihrer Arbeit zu schauen, waren der Kriegsrat v. H a e r l e m und der Oberst P e t r i. Wie Zyklopen haben sie die gewaltige Bürde des ihnen vom König anvertrauten Amtes auf sich geladen, wie sorgende Väter haben sie sich der armen, oft hilflosen Ansiedler angenommen, und wie Brüder haben sie sich in schweren Zeiten gestützt und getragen. Während Petri in Lietzegöricke Auf- enthalt genominen hatte, wohnte v. Haerleni in Wriezen. Letzterer trug die Verantwortung für sämtliche Arbeiten: ihin lag die Sorge für den Ausbau der Dämme, die Rodung der Felder, die Erbauung der Brücken und Etablisseinents, die Unterbringung der ankommenden Kolonisten und die Er- ledigung der schriftlichen Berichte ob. Tag und Nacht, im schneidenden Nordwind des Winters wie im Sonnenbrand — 83 — des Sommers, mußte er bei drohendem Hochwasser auf der Wacht stehen, damit sein liebes Kind, das junge Bruch, vor Schaden bewahrt bliebe. Berücksichtigt mau neben der Menge seiner Arbeiten das ausgedehnte Arbeitsfeld, die überaus schwierigen Zeitverhält- nisse und den großen Verdruß, den ihm der Berliner Büro- kratismus zuweilen bereitete, so muß man sich wundern, wie er es vermocht hat, das Werk so herrlich hinauszuführen. Zweifellos gehörten zu einer solchen Arbeit ein gesunder Leib und eine gesunde Seele! Ein interessantes Bild dieses Mannes und seiner Arbeit gewinnt man durch das Studium der Akten, die von einem langjährigen Streit zwischen ihm und dem General-Direk- torium berichten. Jiii Jahre 1754 forderte die hohe Behörde von Haerlem einen Rechnungsauszug ein. Dieser berichtete, daß es ihm des drohenden Hochwassers wegen unmöglich wäre, dem Ver- langen Folge zu geben. Nach einiger Zeit ward er tvieder dazu aufgefordert. Er entschuldigte sich mit Arbeitsüber- häufung und bat, den p. Extract durch einen Sekretarius ausfertigen zu lassen, v. Haerlem wurde nun eine bestimmte Frist zur Anfertigung des Auszugs gesetzt. Dieselbe verstrich jedoch resultatlos. Nun drohte ihm das General-Direktorium mit des Königs Ungnade und forderte ihn zur persönlichen Verantwortung nach Berlin, v. Haerlem aber meldete ge- horsamst, er habe in den beiden letzten Jahren nicht soviel Zeit gehabt, einmal in die Kirche zu gehen, vielweniger könne er jetzt, ivo stündlich Dammbrüche zu befürchten seien, nach Berlin reisen. Es wäre ihm aber lieb, wenn sich die hohe Behörde einmal von der Menge feiner Arbeit und der Größe seiner Verantwortung an Ort und Stelle informieren würde. Das General-Direktorium beauftragte nun den Kammer- präsidenten v. Schmettau, sich nach Wriezen zu begebeu und v. Haerlem protokollarisch zu vernehmen. Solches geschah. ü* — 84 — Letzterer führte als Entschuldigung für sein Säumen an, er habe auf allerhöchsten Befehl neben seinen vielen Arbeiten 276 Soldatenpferde ankaufen, dazu viele seiner Arbeiter zur Kriegsarmee entlassen müssen; er verspräche jedoch „mit Herz und Hand", den geforderten Extract binnen 14 Tagen einzusenden. Diese Zeit verstrich, und der Rechnungsauszug blieb zum großen Verdruß des General-Direktoriums wieder aus. v. Haerlem wurde nun in eine Ordnungsstrafe von 20 Talern genommen. Jetzt wandte sich die hohe Behörde an Petri und beauf- tragte ihn, v. Haerlem zu veranlassen, sich zu rechtfertigen und den verlangten Extract einzusenden. Petri richtete daraufhin ein umfangreiches Schreiben an den König, in dem er wie ein Bruder für den Bedrohten bat. Se. Kgl. Majestät möchten doch in Gnaden berücksichtigen, daß v. Haerlem der geplagteste aller Menschen sei. Er habe sich in den letzten beiden Tagen nicht einmal ordentlich satt essen können, besitze ein weiches Gemüt und werde darum von den oft rüden Leuten um jeder Kleinigkeit willen überlaufen; dazu habe er einen schweren Körper, der ihn die Arbeiten sauer werden lasse. Er wolle ihn jedoch gern und wiederholt an den verlangten Extract erinnern. v. Haerlem wurde nun aufgefordert, am 1. Juni 1758, morgens 10 Uhr, in Berlin zu sein, um dort aus Grund der mitzubringenden Akten den Rechnungsauszug herzustellen. Vor seiner Abreise nach Berlin bat v. Haerlem den König voller Besorgnis, der unruhigen Kriegszeiten wegen die bei dem Marsch-Kommissar Struve befindlichen Bauakten, Karten und Register auf zwei vierspännigen Korbwagen nach der Domänen-Rentei in Küstrin in Sicherheit bringen zu lassen. Solches geschah. Nachdem sich Petri mit Leib und Leben verbürgt hatte, v. Haerlem auf das Gewissenhafteste zu ver- treten, reiste letzterer nach Berlin, meldete dem General- Direktorium „mit angstvollem Herzen, bedrücktem Gemüt und — 85 — leidender Gesundheit" seine Ankunft und fertigte unter den Augen der strengen Behörde den vielbegehrten Extrnct an. Dein Recht war Genüge geschehen. Man hatte den Gewal- tigen gezwungen, sich der staatlichen Autorität zu unterwerfen; aber ein inniges Mitleid, ein stilles Bedauern können wir dem großen Baumeister, den sein Zeitgenosse Noeldechen einen edlen Menschen genannt hat, nicht versagen! Die Arbeitsleistung Petris suchte man dadurch zu würdigen, daß man anfangs den neuen Oderkanal als Petri- ianal bezeichnet. Heute aber sind die Namen senes edlen Menschenpaares längst vergessen. Mögen diese Ausführungen dazu beitragen, die Erinnerung an die beiden Baumeister des „allen Fritz", denen das Oderbruch sein Werden zu verdanken hat, wieder wachzurufen! Außer den genannten Männern haben sich noch die Vermessungsbeamten Berg, L o t a m u s und P e t s ch, sowie der Oberförster Vetter und der Bau- und Deich- inspektor C h r i st i a n i um die Gründung des Oderbruches sehr verdient gemacht. Der Oberförster Philipp Vetter wohnte in Alt- Lietzegörickc. Unter seiner Aufsicht wurden in den kgl. Forsten die Bauhölzer geschlagen und geschnitten. Nach Fertigstellung des Dorfes Neu-Liehegöricke übernahm er den sogenanntem Philippsberg. Der Bauinspektor Friedrich C h r i st i a n i war Haerlems treuester Gehilfe bei der Errichtung der kgl. Eta- blissements. Im Jahre 1767 nahm er die Neu-Wustrower Herrenwiese, der er den Namen Friedrichshos gab, in Erbpacht. Dort ist er in hohem Alter gestorben. IV. Ans dem «Leben der ersten Anstedler. Auf einem verhältnismäßig kleinen Raum hatten sich Angehörige der verschiedensten deutschen Volksstämme, unter denen sich gewiß auch manche unruhigen Elemente befanden, niedergelassen. Die Folge der großen Verschiedenartigkeit in Abstammung, Sitten und Gebräuchen war eine fieberhafte Unruhe, ein Mißverstehen und Zusaininenstoßen einzelner wie auch ganzer Gruppen untereinander. Die alten Kolonistenakten Berichten gar häufig über Kauf und Tausch, über Kommen und Gehen, über Neid und Streit unter den ersten Ansiedlern. Das Moment, das sie dann einte und festigte, das sie alles Trennende vergessen ließ, war die bittre Not, die beständige Gefahr, in der sie schwebten. Die ersten Jahre waren für die neuen Kolonisten eine unruhige, jammervolle Zeit. Mit den schädigenden Gewalten der Natur schienen sich die feindlichen Kräfte der Menschen zum erbitterten Kampfe gepaart zu haben. Häufig wurden in der ersten Zeit die Dämine von den Fluten durchbrochen, und gierig leckten die Wasserwogen an ihrer Hütte Schwelle. In: Jahre 1766 trat eine große Dürre ein; verheerende Krank- heiten waren die unheimlichen Begleiter dieser trockenen Zeit. Wilde Stürme rasten 1756 über das blache Feld, rüttelten an den armseligen Hütten und richteten unter den ersten Feld- und Gartenfrüchten großen Schaden an. Dann kamen — 87 — bic Schrecken des 7jährigen Krieges. Feindliche Streifscharen beunruhigten nicht selten die armen Menschen, und mit Ent- setzen erfüllte sie im Hochsommer 1758 die Beschießung der nahen Festung Küstrin durch die wilden Russen. Ein Bild des Jammers bieten uns die Berichte über den Schulzen Paulsen zu Neu-Rndnitz. Dieser besaß zur Zeit der Trockenlegung des Oderbruches ein einträgliches Bauern- gut in Balz bei Landsberg a. W., das im Jahr 1758 durch die einfallenden Russen gänzlich verwüstet wurde. Paulsen l)atte mit seiner Familie und einem Teil seiner Habe hinter den Mauern Küstrins Schutz gesucht, bei dem Bombardement der Festung aber seine besten Sachen und 600 Taler bares Geld verloren. Nachdem der Feind bei Zorndorf geschlagen war. bat Paulsen den Kriegsrat v. Haerlem um Unter- bringung in den neuerrichteten Bruchdörfern. Ihm wurde das noch freie Schulzengut in Neu-Rüdnitz überwiesen. Aber aucb hier ward er seines Lebens nicht froh. Im Jahre 1759 wurde er von umherstreisenden Kosaken überfallen, beraubt und mit seiner Frau fast zu Tode geprügelt. 1760 verlor er durch eine Viehseuche Ick Kühe; außerdem wurden ihm 3 Pferde von der Weide gestohlen. 1761 wurden seine Felder vom Hochwasser überflutet, die Saaten durch Unkraut erstickt und die dürftigen Früchte von vielen Mäusen, die zur Landplage geworden waren, gefressen. Durch eine andere Ueberschwemmung im Jahre 1762 verlor er alle Schweine und sein sämtliches Federvieh. Paulsen war nun gänzlich verarmt und wollte die 90-Morgenstelle an den im 7jährigen Kriege blessierten Haupt- mann v. Schmalenberg zu Schönfließ für 1200 Tlr, pertausen. Anfangs wurde die nachgesuchte Erlaubnis zum Verlauf vom König versagt; denn Se. Majestät hielten es — 88 — nicht für ratsam, einen Offizier zum Dorfschulzen einzusehen, auch wäre es nicht angängig, mit Wirtschaften zu „marchandiren". Auf eine Bitte Schmalenbergs erteilte Friedrich II. unterm 30. Juni 1762 die erforderliche Erlaubnis, jedoch unter der Bedingung, daß der neue Besitzer das Schulzenamt in Person versehen müsse, keine Schulden machen und den Hof ohne Konsens nicht verkaufen dürfe, v. Schmalenberg übernahm dann den Schulzenhof, und Paulsen begab sich zurück nach Balz. >, Nachdem v. Schmalenberg am 18. Januar 1764 das adlige Dorf Eichwerder, in dem er eine Fabrik zu bauen beabsichtigte, gekauft hatte, überließ er mit königlicher Genehmigung die 90-Morgenstelle dem eingewanderten Polen Mittelstädt, einem für das Schulzenamt sehr tauglichen „Subjekt". -!- * * Vielen Verdruß bereitete den Behörden die Familie Böse. Der Pole Paul Böse hatte 1758 eine 45-Morgenstelle zu Neu- Ciistrinchen übernommen. Infolge schädlicher Ueberschwem- mungen, arger Mißhandlungen durch feindselige Russen und andrer Trübsale ward er an Körper und Geist elend. In seiner Schwermut verkaufte er seinen Hof an den Krüger Bruchmüller zu Neu-Rüdnitz für 185 Taler, die er sich aber zum größten Teil von jenem schon geliehen hatte. Bruch- müller überließ den Hof dem Württemberger E l l w a n g c r. Böse aber wohnte noch immer in dem Hause, weigerte sich auch, dasselbe zu verlassen; denn er behauptete, den Hof an Bruch- müller nicht verkauft, sondern nur verpfändet zu haben und bat das Bruckamt, den „Scheinkauf zu annulliren". Vou der Behörde aber wurde er mit seiner Klage abgewiesen, und Ellwanger griff nun zur Selbsthilfe. Im Winter 1768 zertrümmerte er den in Böses Stube stehenden Ofen und hob die Fenster aus, sodaß der unliebsame Gast wegen allzu- — 89 — großer Kälte seine bisherige Behausung verlassen mußte. Er begab sich zu seinen Verwandten im Warthebruch und starb dort in Kummer und Not. Nach dein Tode des Vaters baten seine drei Söhne Martin, Michael und Gottfried Böse den König um Zu- sprechung des väterlichen Hofes, um den die Familie Böse widerrechtlich gebracht worden sei. Sie wurden aber mit ihren Ansprüchen abgewiesen; jedoch ward ihnen anheim- gegeben, sich nach einem andern, freigewordenen Hofe um- zusehen. Sie baten nun um Ueberlassung der Alt-Trebbiner oder Neu-Rüdnitzer Herrenwiese, wurden jedoch abschlägig beschicden. Nun richteten sie ihr Augenmerk auf Wirtschaften, die scheinbar ordnungswidrig mit Inländern besetzt worden waren. Martin Böse bat uin eine 45-Morgenstelle in Neu- Rüdnitz, in die sich ein Inländer, Samuel Kemke aus Paar- ftein, geschlichen haben sollte. Kemke wies jedoch nach, daß er in Fürstenberg in Mecklenburg geboren sei. Im Jahre 1781 bat Michael Böse um die Wirtschaft des Christian Borchert zu Neu-Cüstrinchen; denn dieser sei kein Ausländer. Die angeftellte Untersuchung aber ergab, daß Borcherts Vater, der 1775 verstorbene Martin Borchert, aller- dings einen Bauernhof in Berkholz bei Berlin besessen, mit Haerlems Genehmigung aber von dem Polen Ludwig Pinnow *) die 45-Morgenstelle für 270 Taler gekauft hatte. Nach vielem Hin und Her wurden die Böses als unruhige Leute endgültig abgewiesen. Sie haben sich dann im Jahre 1785 auf dein Rhinowschen Stadtrevier niedergelassen. Zu den ersten Kolonisten des Dorfes Neu-Medewitz gehörte der 10-Morgener Adam Scharr. Mit seiner Wirt- schaftsführung war der Kriegsrat v. Haerlem durchaus *) Pinnow siedelte sich in Groß-Zetteritz im Warthebruch an. — 90 — unzufrieden, und da er auch mit seinem Kanon cncfl im Rück- stand geblieben war, wurde ihm 1766 der Hof abgenommen und dem bayrischen Floßmeister H a r s e i t e l aus Erben- d o r f in der Oberpfalz übertragen. Scharr, ein ehemaliger Weinmeister aus Cannstadt an: Neckar, war jedoch mit seiner „Exmittirung" nicht einverstanden und erhob dagegen bei der Kgl. Kammer Einspruch. In seiner Beschwerdeschrift gab er an, sich auf Veranlassung des Prinzen Heinrich im Oder- bruch angesiedelt zu haben. Auf der Wanderung aus der Heimat sei er in die Nähe des preußischen Lagers, das Prinz Heinrich 1759 in Sachsen bezogen, gekommen, als Spion eingefangen und vor den Prinzen geführt worden. Nachdem er sich vom Verdacht der Spionage gereinigt, sei ihm vom Prinzen nahegelegt worden, sich im neuen Oder- bruche anzusiedeln. Solches habe er auch getan. Wenn er sich auf dein kleinen Hof in der trüben Zeit nicht habe halten können, so sei es gewiß nicht seine Schuld. Da zuerst die Behörden seinen Angaben keiner: Glauben schenkten, wandte er sich hilfesuchend an den Prinzen von Preußen. Auf Ver- anlassung Sr. Kgl. Hoheit wurde dem Scharr die Stelle des entlaufenen 10-Morgeners Schulze in Neu-Kietz bei Freien- walde übertagen. Sein Rivale Harseitel entpuppte sich bald als ein unruhiger, fauler Mensch, unter dessen Bewirtschaftung der Hof zu Neu-Medewitz völlig verwilderte. Er verkaufte denselben 1767 für 136 Taler an die Witwe K"be und siedelte sich in Derschau in: Warthebruch an. » Nach der unglücklichen Schlacht bei Kunersdorf am 12. August 1759 durchzogen die Russen plündernd die Neu- mark, und die armen Bauern hatten unter ihrer Wildheit viel zu leiden. Umherstreifende Kosakenabteilungen durch- schwammen mit ihren Rossen den damals noch schmalen Oderkanal und plünderten die erschrockene Bruchbevölkerung — 91 — erbarmungslos aus. Eines Tages stattete eine solche Horde auch den Dörfern Neu-Barnim und Nen-Lewin einen Besuch ab. Nachdem die Feinde die Dörfer gebrandschaht hatten, zogen sie mit den: geraubten Vieh von dannen. Die aus- geplünderten Kolonisten eilten ihnen mit Knütteln, Sensen und Heugabeln nach, um ihnen den Raub wieder zu ent- reißen. Grimmig schlugen sie auf die Kosaken ein; aber ihren Lanzenstößen vermochten sie nicht standzuhalten. Mit blutigen Köpfen wurden sie heimgeschickt. Die beiden Kolonisten Gottfried Keller und Ricks wurden erschlagen. Der Schulze Moutoux aber gab der Nachwelt den Rat, „sich nimmermehr mit einem Feinde abzugeben." * # * Gelegentlich der Aufforderung zur Besiedlung des Oder- bruches hatte man den Ausländern das Versprechen gegeben, daß ihnen die überwiesenen Güter erb- und eigentümlich gehören sollten. Die Ausstellung der versprochenen Grnnd- briefe verzögerte sich jedoch sehr und erfüllte die Kolonisten mit Besorgnis. Die Ncu-Lewiner schrieben deshalb an den König: „Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König, allergnädigster König und Herr! Ew. Kgl. Majestät und Dero Hochpreißliches General- Direktorium wird noch in Allerhöchstem Andenken geruhen, daß wir als Ausländer und meistenteils aus Hesscn- Darnistadt gebürtig, auf die denen Ausländern, welche sich in hiesigen Landen zu etabliren reflectiren würden, unterm 28. September 1747 gegebene Versicherung uns mit unserm Vermögen als Colonisten in hiesige Lande zu begeben. Wir sind sämtlich in dem Dorfe Neu-Lewin unter dem Bruchamte Wrietzen angesetzet, unsere Höfe, benebst Aecker, Wiesen, Gärthen, Holzungen und andern Perti- 92 — nentien uns gegen Erlegung eines jährlichen Canons von 16 sgr. pro Morgen Erb- und Eigenthümlich übergeben, und dabey versprochen worden, daß wir darüber nicht nur als mit unserm wahren Erb-Guth und Eigenthuin schalten < und walten, auch bedürfendenfalls ein jeder seinen ver- kaufen, verschenken, vertauschen und sonsten als mit seinem wahren Eigenthum dariiber disponieren können, sondern daß auch dieser unser Erb-Hof, und mithin auch wir, dessen Besitzer, und Nachkommen, von allen andern Landes- abgaben als Contributionen, Schoß, Cavallerie Geld, Ge- treyde, Pachte, Dienste oder Frohnden und allen übrigen Pflichten, sie mögen Nahmen haben, wie sie wollen, sie mögen schon erdacht sehn oder noch erdacht werden', wie nicht weniger auch wir und unsere Kfnder und Nach- kommen von aller gewaltsamen Werbung völlig frey sein sollen. Indessen ist uns die dariiber versprochene Erb- Verschreibung bis Dato noch nicht ausgefertigt, ohnerachtet denen Colonisten zu Clausdorf im Amte Zinna, mit welchen wir jedoch zu einer Zeit angenommen und in hiesige Lande transportirt worden, ihre Erb-Verschreibung bereits unterin 23. August 1752 ertheilet worden. So bitten wir allerunterthänigst, uns über die uns Erb- und Eigenthümlich gegebenen Höfe eine Erb-Ver- schreibung, so wie solche den gedachten Colonisten zu Claus- dorf ausgefertigt und von Sr. Kgl. Majestät Allerhöchst- eigener Unterschrift bestätigt worden, allergnädigst zu ertheilen. Ew. Kgl. Majestät allerunterthänigsten Knechte Sämtliche Colonisten zu Neu-Lewin. Neu-Lewin, den 21. Februar 1767." Aus Anlaß dieses Schreibens forderte das General- Direktorium die kurmärkische Kanuner auf, „den Suppli- kanten ohne Verzug die Erbverschrcibung ausfertigen zu lassen, indem Se. Majestät es höchst ungnädig empfinden — 93 Würden, wenn dieselben vernehmen sollten, daß den Cola- uisten nach 12 Jahren solche zurückgehalten würden, wodurch alle Frembden billig abgeschräckt werden möchten." Im Jahre 1769 erhielten sämtliche Kolonisten des Oderbruches vom Bruchamte Wriezen die vom König confir- niirten Erbverschreibungen ausgehändigt. Ein solcher im Original vorliegender Grundbrief hat folgenden Wortlaut: „Kolonistenbrief. Se. Kgl. Majestät in Preussen re. Unser aller- gnädigster Herr, haben von denen Etablissements, welche auf Allerhöchst Dero Kosten in dem hiesigen Oder-Bruche errichtet, in dem Dorfe Neu-Lew in unter dem Bruch- amte Wrietzen dem Caspar Breitkrcutz ein Colo- nisten-Guth, unter nachstehenden Bedingungen, als ein Erb-Ains-Guth, Erb- und Eigenthümlich übergeben lassen, nemlich 8 1. Es wird dem Caspar Breitkreutz aus Eich- berg bei Filehne gebürtig, eine Colonisten-Nahrung, be- stehend in den zur Wohnung und Wirthschaft benöthigten Gebäuden, nebst dazu gelegten 90 Morgen, jeden zu 180 Quadrat-Ruthen rheinländisch Maaß gerechnet, be- stehend in Acker, Wiesen, Wehden, Garthen dergestalt über- geben, und in Besitz gesetzt, daß er dieses ihm von Sr. Kgl. Majestät geschenkte Colonisten-Guth, als sein wohl- erworbenes Erb-Zins-Guth auf bestmöglichste Art wirt- schaftlich nutzen und anbauen könne. 8 2. Dem Colonisten Caspar Breitkreutz stehet frey, dieses Guth auf seine Kinder, Kindes-Kinder und Nach- kommen zu vererben, oder zu vermachen, so wie es die Landes-Gesetze erlauben. Jedock) da Sr. Kgl. Majestät Haupt-Absicht bey Errichtung dieser Colonie dahin gehet, 94 — daß der Colonist im Lande bleibe, und sich ans diesem, Guth ernähren solle, keineswegs aber damit Handel zu treiben und zu wuchern, so behalten sich Kgl. Majestät hiermit ausdrücklich vor, daß der Colonist dieses Guth ohne ausdrücklichen Consens E. Hochlöbl. Kriegs- und Domainen-Kammer vor der dritten Generation weder ver- pstinden, noch ganz oder zum Theil zu veräussern befugt sehn solle, sondern alle von demselben dagegen unter- nommene Handlungen null und nichtig sehn sollen. 8 3. Der Besitzer dieses Guthes ist schuldig 1. Von jedem Morgen 16 Groschen jährlichen Canon und also in Summa 60 Thaler in Kgl. Preuss. Silber-Courant in 4 Terminen an das Bruchamt Wrietzen prompt bey Vermeidung der Hülfe zu zahlen, 2. Nach Verhältniß seiner Morgen-Zahl zur Unter- haltung der Dämme und Abzugs-Gräben, das sogenannte Ruthen- und Grabengeld beyzutragen, nicht minder alles dasjenige zu thun, und zu be- folgen, was in der Teich-, Ufer- und Graben- Ordnung verordnet, und denen Bruch- Interessenten vorgeschrieben worden, ' 3. Muß er als Eigenthümer den Beytrag zur Feuer- Casse nach Proportion des versicherten Werthes seines Guthes bezahlen und sich Feuer-Instru- mente anschafsen, 4. Muß bey jeder Veränderung des Besitzers dieses Erb-Zins-Guthes der 12te Theil des in 8 3 Nummer 1 festgesetzten Canons als ein Lau- demium an das Bruchamt Wrietzen bezahlet werden. — 95 — 5. Wenn der Erb-Zins-Mann zwey Jahr lang mit dem Canone in Rückstand bleibet, so soll dieses Erb-Zins-Guth zu Sr. Kgl. Majestät Disposition verfallen und also dem Erb-Zins-Mann wieder genommen werden können. 8 4. Dagegen bleiben die Colonisten-Güther nach Sr. Kgl. Majestät allergnädigst ertheilten Privilegien und Bene- ficien für die Ausländer, frey von allen andern Landes Abgaben, als: Contribution, Cavallerie Geld, Schoß, Diensten oder Frohnen, Krieges-Fuhren, Lieferungen und andern Unpflichten. Desgleichen werden den Colonisten auch die persönlichen Freyheiten von gewaltsamer Werbung, Anlegung des Cantons für sich, Kind und Kindes-Kindern*) und Gesinde, so derselbe aus fremden Landen mitgebracht, von nun an und immer Namens Sr. Kgl. Majestät wieder- holend versichert. 8 5. Der Kolonist steht mit seinen Leuten unter der Juris- diction des Bruch-Amts Wriehen, woselbst er Recht nehmen und seine Klagen anbringen muß: Wie denn derselbe überhaupt schuldig, sich nach denen allgemeinen Landes- Gesehen, Verfassungen, zu richten, insoweit er durch die in 8 4 gedachten Privilegien davon nicht eximiret ist. 8 6. Zur Sicherheit derer 8 3 spezificirten Praestandorum und deren richtiger Zahlung wird des Colonisten sämtliches Vermögen beweg- und unbeweglichs dem Bruch-Amte Wrietzen zum ausdrücklichen Unterpfand hiermit aus- bedungen und verschrieben. *) Um das Jahr 1785 wurde dieses Privileg auf die Söhne der großen und mittleren Kolonisten beschränkt: die Söline der 10-Morgener wurden fortab für abkömnilich gebalten. S. Col. Act. der Kgl. Reg. zu Potsdam: Geiseler in N.-Cüstrjnchen. — 96 Uhrkundlich ist diese Erb-Zins-Verschreibung unter des Amts Siegel und Unterschrift ertheilet. So geschehen ZU Wrietzen an der Oder den 21. April 1769. Königl. Preuß. Bruchamt Hierselbst. S t r u v e. Graev e." Diese Erbverschreibungen ließen sich die Kolonisten auch von den beiden folgenden Königen unter der Versicherung treuster Anhänglichkeit unterzeichnen. Friedrich Wilhelm III. hielt solches für unnötig. Der Minister v. Voß empfahl es jedoch dringend, „da sonsten Unruhen unter der Bruch- bevölkerung zu befürchten sein möchten." * -!- * Viele Kolonisten hatten unter Zurücklassung ihres Ver- mögens und ihrer nächsten Verwandten aus ihrer alten Heimat gehen müssen, und es entstanden deswegen in der Folge zahlreiche diplomatische Verhandlungen zwischen dem preußischen auswärtigen Departement und den in Frage kommenden Regierungen. Die Erledigung dieser Angelegen- heiten wurde durch die damaligen Kriegsuuruhen sehr erschwert. Im Jahre 1762 schrieben die österreichischen Emigranten in Nen-Barnim an Friedrich 11., sie hätten ihre Habselig- keiten, wie auch ihre Familien in den härtesten Drangsalen zurücklassen müssen.- Letztere hätte mau teilweise nach Sieben- bürgen geführt; die Zurückgebliebenen aber würden trotz des Augsburgischen Religionsfriedens und der Bestimmungen in Art. V des Westfälischen Friedens als Ketzer verfolgt und drangsaliert. Sie bäten nun Se. Kgl. Majestät demütigst, dahin wirken zu wollen, daß den Ihrigen das „Uxercitium religionis oder freie Emigration" verstattet, ihnen aber ihre Verlassenschaft herausgegeben würde. Unterzeichnet ist dieses Schriftstück mit „Johann Liesinger, Andreas Hoffwimmer, Joseph Holtzinger." — 97 - Am 7. Juni 1762 erhielten die österreichischen Bittsteller aus dem Kgl. Kabinett folgendes Antwortschreiben: „So gerne Se. Kgl. Majestät euch zur Erlangung des zurückgebliebenen Vermögens und zur Emigration eurer Verwandten behülflich sein möchten, so tragen Sie dennoch Bedenken, dieserhalb das Geringste zu veranlassen, weil die Erfahrung gelehrt, daß solches bei dein Wienerischen Hof auch nicht vom allergeringsten Erfolg gewesen, sondern im Gcgentheil nur noch mehr Erbitterung und Verfolgung gegen die Protestanten nach sich gezogen habe." Die Neu-Barnimer beauftragten später die beiden Kolonisten Joseph Bell und Michel Leidner, sich nach Oester- reich zu begeben und die zurückgelassenen Erbgelder zu holen. Am 25. März 1773 war zu Gundersheim im Oberamte Alzey Frau Maria Magdalena Heinrich gestorben. Sie hatte ihre beiden Enkel, die Kolonistensöhne Joh. Heinrich und Joh. Jacob Schlösser in Neu-Rüdnitz, zu Erben von 475 Talern eingesetzt. Dieses Geld war in Gundersheim zinsbar untergebracht worden. Als die Brüder von der Erb- schaft vernahmen, reisten sie nach der Kurpfalz, konnten aber das Erbe nicht erlangen. Nach ihrer Rückkehr beschwerten sie sich dieserhalb bei dem Bruchamte Wriezen. Dieses unter- breitete die Angelegenheit dem preußischen Residenten v. Hoch- städter in Frankfurt a. M., der dann bei der kurpfälzischen Regierung in Mannheim vorstellig wurde. Letztere befahl daraufhin die Auszahlung des Erbes unter Einbehaltung des gewöhnlichen 10. Pfennigs und in Ansehung der Leibeigen- schaft des Vaters den Abzug von 10 Proz. und die Erteilung der Losscheine. — 98 — Der Rechnungsrat Kleinschmidt zog dann das Geld ein und zahlte für die Erben 375 Taler bei dem Bankier Dorville in Frankfurt a. M. ein, der den Betrag der Kgl. Hauptbank in Berlin übermittelte. Am 31. August 1780 ward endlich den Brüdern das Erbe ausgehändigt. Nicht so glücklich war der zu Neu-Ciistrinchen wohnende Kolonist Conrad Fabel. Dessen Frau Anni Margarete geb. Scheerer war im Jahre 1770 gestorben. Bei der Regelung ihres Nachlasses ergab es sich, daß sie noch 900 bis 1000 Gulden Erbgeld aus der Hinterlassenschaft ihres zu Dahlsheim im Oberamte Alzey verstorbenen Vaters Jacob Scheerer zu fordern hatte. Conrad Fabel machte durch das Bruchamt Wriezen seine Ansprüche bei der kurpfälzischen Regierung geltend. Der Rechnungsrat Kleinschmidt untersuchte die Sache und berichtete, daß der Wert des Scheerer'schen Nach- lasses sehr gering sei. Falls Fabel auf seiner Forderung bestehen würde, möchte er einen Vorschuß von 13 Talern in Gold eiusenden. Unter diesen Umständen verzichtete Fabel auf das Erbe. Das Bruchamt Wriezen aber bemerkte dazu: „Mau hat die Erfahrung gemacht, mit welchen Schwierig- keiten es verknüpft ist, dergleichen Forderungen im Chur- pfälzischen geltend zu machen." Ein heftiger Streit mit recht scharfen Formen war wegen der zurückgelassenen Hofwehren der eingewanderten Polen zwischen der neumärkischen Kammer und dem benachbarten Polenfürsten v. S a p i e h a ausgebrochen. Da der mächtige Palatin die Habe seiner „entlaufenen Unterthauen" gutwillig nicht herausgeben wollte, holten einige Ansiedler ihre Hof- wehren heimlich bei Nacht und Nebel. — M — Uebrigens will es scheinen, als hätte die Mehrzahl der zugezogenen Polen ein beträchtliches Vermögen mit ins Brnch gebracht. So wird von dem Neu-Wustrower Breit- kreuz berichtet, er wäre mit vielem Vieh und ansehnlicher Habe ins Land gekommen. In Neu-Cüstrinchen hatte sich 1758 Michael Galt, niedergelassen. Er war aus dem Roschnower Holländer bei Obornik gekommen und hatte unter anderm 2 Pferde, 4 Kühe und 100 Taler bares Geld mitgebracht. Ein trübes Kapitel in der Geschichte des jungen Oder- bruches bildet „Der Aufruhr in Kerstenbruch". Kaum hatte der Hofrat K e r ft e n das Dorf Kerstenbruch mit 8 in- ländischen und 8 ausländischen Familien besiedelt, so machten sich auch schon unter ihnen bedenkliche Unruhen bemerkbar. Während Friedrich H. seinen Kolonisten allerlei Freiheiten eingeräumt hatte, mußten die adligen Untertanen ihren Grundherren in alter Weise dienen. Dieser Hofzwang erregte vielfach Unzufriedenheit und Mißmut. Am 14. Juni 1763 beschwerten sich der Schulze Fr. Machenow aus Polen, Jacob und Johann Rüper aus den: Hunsrück, Caspar Hauck aus Württemberg, Christian Scheer- aus der Pfalz, Gottfried Weyland aus Sachsen, Johann Blieske aus Polen, Matthias Wirth aus Trier und 8 Ge- nossen beim König über die Habsucht ihres Grundherrn. Dieser hätte entgegen den Anordnungen Petris seinen 16 Kolonisten nur 300 Morgen überlassen, während er allein 600 Morgen bewirtschafte, außerdem beschränke er noch ihre Hütungen und fordere statt des versprochenen 1 Tages wöchentlich 3 Tage Hofdienst. — 100 — Der Hofrat Kersten dagegen beklagte sich in einem Schreiben vom 3. Jnli 1763 beim König über seine rebellieren- den Untertanen, daß sie ihm durch Verweigerung des Hof- dienstes die ganze Ernte verderben ließen. Als Rädelsführer bezeichnete er den Schulzen Fr. Machenow, Johann Röper und Gottfried Weyland. Während er von Machenow be- hauptete, dieser wäre bei aller Unbotmäßigkeit noch Inländer, gab er von Röper an, daß derselbe eines schweren Verbrechens wegen aus seiner Heimat entflohen sei. Da aber die Be- hörden auf diese Beschuldigungen nicht reagierten, auch dem spätern Antrag auf Exmittierung der Widerspenstigen keine Folge gaben, so ist wohl anzunehmen, daß das Verhalten des Hofrats auch nicht ganz einwandfrei gewesen ist. Auf Grund dieser Beschwerde befahl Friedrich der Große dem Bürgermeister Kortmann in Wriezen, mit Hilfe des Landreuters Bille die Rebellen zur Schuldigkeit anzuhalten. Ihre Ermahnungen und Verwarnungen scheinen jedoch erfolg- los gewesen zu sein; denn Kersten beschwerte sich unaus- gesetzt über seine „wilden Untertanen, die in zügelloser Ver- wegenheit frevelten." Inzwischen hatte der König durch den Gerichtsdirektor Keßler die Kolonisten mit ihrer Klage gegen ihren Grund- herrn abweisen lassen und zwar mit der Begründung, daß über die strittigen Punkte schon vor 2 Jahren zwischen beiden Parteien eine Einigung zustande gekommen sei. Am 12. September 1763 befahl der König dem Bürger- meister Kortmann, die Rädelsführer einzufangen und ein- zustecken. Da dieser jedoch befürchtete, ungesegnet von Kersten- bruch zu kommen, so lud er die Beschuldigten auf das Amts- haus in Wriezen, um sie dort zu arretieren. Vor dem Amtshause aber hatten sich die übrigen Kerstenbrücher mit Stöcken postiert, und als sie vernahmen, daß ihre Führer durch die Gerichtsdiener abgeführt werden sollten, erhoben sie einen großen Tumult, drangen in das Haus ein, verprügelten die Gerichtsdiener und befreiten die Gefangenen. 101 — Durch den großen Lärm wurde die Soldatenwache herbeigelockt. Diese ergriff Machenow und Röper, während Weyland mit den übrigen entkam. Die beiden verhafteten Anführer wurden nach Berlin in die Hausvogtei gebracht. Einige Tage später begab sich Weyland heimlich dorthin, um die Lage seiner Freunde zu erkunden. Bei seiner Spionage wurde er ertappt und ebenfalls hinter Schloß und Riegel gesetzt. Nach einem Bericht des Hofrats Kersten wurden nun seine Untertanen von der alten Röpern, der Mutter des eingesperrten Joh. Röper, anfgewiegelt und zur Wider- spenstigkeit veranlaßt. Im Oktober 1763 begab sich die 66jährige Frau R. heimlich zum Direktor der Hausvogtei, um ihn durch ein Ge- schenk, das sie ihm „in die Hand drücken" wollte, zur Frei- lassung ihres Sohnes zu bewegen. Aber auch sie wurde fest- genommen und in Verwahr gelegt. Der dem Hofrat durch die Widerspenstigkeit seiner Unter- tanen entstandene Feldschaden wurde durch das Neu-Lewiner Dorfgericht abgeschäht und auf 1506 Taler 15 Sgr. festgesetzt. Da die Kolonisten die geforderte Entschädigung gutwillig nicht bezahlen wollten, legte auf des Königs Befehl der Kom- mandeur der Zastrow'schen Dragoner zu Wriezen in jedes Haus einen Soldaten. Den Gefangenen in der Berliner Hausvogtei aber wurde mit Wasser, Brot und härteren Mitteln gedroht. Als diese die Aussichtslosigkeit ihres Tuns erkannten, schwuren sie am 3. Dezember 1763 Urfehde. Sie wurden nun ans der Haft entlassen; nur Wcyland verblieb noch einige Zeit bei seiner Halsstarrigkeit, wurde aber dann eben- falls frei gegeben. Der Trotz der Äerstenbrücher war immer noch nicht ge- brochen, und dem Weyland wurden sogar 2 Soldaten ins Haus gelegt. Am 16. Februar 1764 beschwerte sich Kersten nochmals beim Könige, daß ihm seine wilden Untertanen das Leben gar zu sauer inachten. Erst als den Widerspenstigen mit Exmission gedroht wurde, verrichteten sie den Hofdienst, wenn auch mit vielem Groll. Dieser Streit des Hosrats Kersten mit seinen Kolonisten zog sich bis zum Jahre 1780 hin. In diesem Jahre über- nahm der Herr v. V i g n y Kerstenbruch. Die gewünschte Befreiung der Kerstenbrücher vom Hand- und Spanndienst trat aber auch jetzt noch nicht ein. Die geschilderten Unruhen in Kerstenbruch erinnern lebhaft an den großen Bauernaufstand des 16. Jahrhunderts. Dieses Aufbäumen der Kolonisten gegen eine gänzlich ver- altete Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung war das Flammenzeichen eines gewaltigen Freiheitsdranges, der den deutschen Bauern erfüllte, und der eine heiße Liebe zur heimatlichen Scholle und zum weitern Vaterlande in sich barg. Was die Kerstenbrücher auf ungesetzlichem Wege zu erreichen suchten, hat 50 Jahre später auf gesetzlicher Grund- lage der edle Freiherr vom Stein geschaffen: einen freien, unabhängigen Bauern st and! Etliche von den eingewauderten Kolonisten fanden im Oderbruche nicht das, was sie erhofft hatten. Nach kurzenl Aufenthalte sahen sie sich nach einem bessern Lande um und begannen nach Dänemark, Ungarn und Südrußland auszu- wandern ; einige kehrten auch wieder in ihre alte Heimat zurück. Da derartige Abwanderungen die Schöpfungen Friedrichs des Großen im Auslande in Mißkredit bringen mußten, auch eine gewisse Undankbarkeit gegen bcn edel- mütigen Preußenkönig verrieten, so verbot dieser jede 103 — unerlaubte Entfernung aus seinen Landen. Die Entwichenen sollten als Deserteure betrachtet und bei ihrer Ergreifung streng bestraft werden. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Ursache der Ab- wanderungen in der Trägheit und Abenteuerlust der betreffen- den Kolonisten oder in den traurigen Wirtschaftsverhältnissen jener Zeit zu suchen ist. Die damaligen Kolonisations- beamten behaupteten allerdings das erstere. Im Jahre 1761 entfernten sich heimlich die Pfälzer Kreut er und Lorenz aus Neu-Tornow tind Dietrich und P f a l z g r a f aus N e u - K i e tz bei Freien- walde, um in ihre Heimat zurückzukehren. Friedrich II. sandte ihnen eine Abteilung Husaren nach, die die Flüchtlinge mit ihren Weibern und Kindern in Wittstock einfingen und wieder zurückbrachten. Während die Unzufriedenen behaup- teten, sie könnten von den kleinen Wirtschaften nicht leben, berichtete der Kriegsrat Kriele au den König, sie seien, „wie die meisten Pfälzer und Württemberger, nicht von der fleißigsten Art". Der König aber empfahl seinen Beamten, die Leute in Güte von ihrer Auswanderungsidee abzubringen. Aus Beauregard hatten sich schon im ersten Jahre seines Bestehens 6 Personen heimlich entfernt. Des Königs hellen Zorn zog sich der Kolonist Brnch- müller in Neu-Rüdnitz durch seine Umtriebe zu. Dieser, ein eingewanderter Hesse, warb für den gewissenlosen Kurfürsten von Hessen-Kassel junge Ansiedlersöhne an, die dieser an England, das zu jener Zeit mit Nordamerika Krieg führte, weiterverkaufte. Als Friedrich H. von dieser „Seelenver- käuferei" hörte, ließ er Bruchmüller durch eine Abteilung der Zaftrow'schen Dragoner festnehmen und auf die Festung Spandau bringen. Hier sollte er gehängt werden. — 104 — Die Frau Bruchmüllers aber begab sich mit ihren: kleinen Söhnchen ?,um König, um von ihm die Begnadigung ihres Mannes zu erflehen. Im Park von Sanssouci erwartete sie ihn. Mit den Worten: „Ick bin de Brokmöllersche" stellte sie sich dem alten Fritz vor und bat um das Leben ihres Mannes. Der König geriet bei dem Gedanken an die Uebel- tat Bruchmüllers in den heftigsten Zorn und fuchtelte laut scheltend und drohend mit seinem Krückstock herum. Da zupfte der kleine Bruchmüller seiner Mutter am Rock und rief ängstlich: „Mudda, kuinm wech; der Kerl will di schlahn!" Solches erheiterte den König und stimmte ihn freundlich. Er versprach, den Gefangenen zu begnadigen. Nach einigen Tagen wurde Bruchmüller in Freiheit gesetzt, jedoch mit dem Bemerken, das; er im Wiederholungsfälle auf irgend eine Nachsicht nicht zu hoffen habe. Zur Warnung für ihn und andere ließ Friedrich der Große auf Bruchmüllers Haus einen Galgen errichten. Alte Leute können sich dieses Hängebalkens noch erinnern.*) Jni Jahre 1784 verließen mehrere Kolonistenfamilien unter Führung eines gewissen Tharow aus Neu-Trebbin heimlich das Bruch, um sich in Südungarn anzusiedeln. Während die in Kenntnis gesetzten Behörden die polnische Grenze scharf überwachten, entkamen die Flüchtlinge in ent- gegengesetzter Richtung nach Sachsen. Die beiden N e u - R ü d n i tz e r Kolonisten Schulz und Schüler aber wurden ergriffen und ins Zuchthaus zu Frankfurt a. O. gesteckt. Die Entflohenen siedelten sich in T a r s a u in Ungarn an und scheinen sich dort sehr wohl gefühlt zu haben. Im Jahre 1783 schrieb der alte Tharow an seinen Sohn Johann, der bei der Witwe Kolbe in Neu-Lewin in Dienst stand: *) Nach meinen Forschungen liegt keine Veranlassung vor, an der Richtigkeit dieser Darstellung der Brnchmüller-Episvde zu zweifeln. D. V. — LOS — „Gott zum Gruß, Freud, Heil und Trost mein liebwertester Sohn Johann, Auß meinen Wenigen Zeilen werde ich Dir zu wißen machen, daß ich Dein Vater nnd Mutter und Geschwister noch Gottlob gesund sind, unsere Reise war zwar Beschwert, allein es reuet uns nicht, indem wir hier von Jro Majestät bekommen 60 Morgen Feld und 500 Klafter an Wiesen, Wagen, 4 Pferde, Pflug und Eggen, 1 Kuh, 1 Teppich. 1 Strosack, da man drauf liegen kann, 1 hölzerne Bett- stelle, 6 Mehl Säcke, 1 Worfschaufel, 1 Spinnrad, 2 Hacken, 1 Schippe, 2 Sicheln, 1 Sense, 1 Schneidmesser, 1 Butter- vaß, 1 Wasser Kübel, 1 Mehl Kübel, 1 Mehl Sieb, 1 Art, 1 Handbeil, 2 Bohrer, 1 Hammer nnd Bellicken, 1 Heu Gabel, 1 Backtrog, 1 Ofen Schüssel. Dieses wird uns ohne entgeld gegeben und bekommen wir für jede Person tägl. 2 Kreutzer und Mehl, daß wir zu Leben haben, allein biß dahin, daß wir übers Jahr unsere Winter Frucht ein- geerntet haben, also habe ich Dir alles mit Fleiß aufgesetzt, damit so Du Lust hast und mit Deinem Vater und Mutter Leben willst, so muß Du Dir so leicht wie inögl. machen, alles verkaufen; die Ursach ist diese: 1. weil der Weg weit ist, 2. weil Du hier alles wieder bekommst. Dabei will ich zugleich Deine Marsch Ruthe anmerken; 1 über Frank- furt an der Oder aus Lieben (Lübben) in Sachsen und Sonnenwalde, Elstertverda nnd Dresen (Dresden), alsdann nach Prag in Böhmen und nach Wien, so bald Du aber nach Wien kommst, so melde Dich auf der ungarischen Cantzeley als Kollonist, so wird man Dir mit einem Paß versehen nnd wirst Dein Reise Geld bekommen. Von Wien 2 Gulden biß Offen und Pest, alda auf den Kopf wieder 1 Gulden bis Zambow (Zombor) und dann 4 Gulden Reisegeld in Kuhlo (Kula) nicht weit von Zambow und ohne Weiter nach zu fragen von Zambow auf Tarsau, so heißt daß Orth, wo wir sind. Auch muß ich Dir zu wißen machen, daß Du nach Verlesung dieses Briefes ihn nicht — 100 auß den Händen geben wirst noch weiter jemand davon sagen, indem Dn sonst möchtest Verdruß haben, auch muß ich noch melden, daß wenn Du wirst in Wien sehn, Du Dich nicht sollst aufs Wasser setzen, sondern zu Land wirst Du alle Mahl außerhalb Wien gelegcnheit finden, um ein geringes zu Wagen nach uns zu kommen, indeni die Straße, so ich Dir fürgeschrieben, alle Tage gelegenheit ist. Also richte Dich nach allem und bleibe verschwiegen, auch muß ich Dir noch mahls viele mahle nebst Deiner Mutter und Geschwister in die Obhut Gottes Befehlen und bitte viele mahle zu Grüßen an Johann Friedrich Pirwitz nebst seiner lieben Frau und Kinder und sonsten alle Guthen Freunde und Bekandte. NB. Auch müßen wir uns fürstellen, wie ehemals Gott sprach zu Abraham im alten Testament, gehe aus Deinem Vaterlande und von Deiner Freundschaft in ein Land, daß ich Dir zeigen will. Wir sind also aus unserm Vaterland und von unserer Freundschaft, allein gedenke nicht, daß an diesem Orth nicht etwa Gottesfurcht herrscht. Wir kommen alle, Evangelische und Reformierte und Catholiken, jeder besonders und haben aus jedem Dorfe unsere Kirche und Gottesdienst, also grüßen wir Dich viele Mahl alle und befehlen Dich dem Schutz Gottes und ver- bleiben Deine lieben Eltern biß ins Grab. Johann T h a r o w. T o r s a u , 15. August 1785." Dieser Brief war an Tharows Schwager Pirwitz in Neu- Trebbin adressiert, der ihn dann dem jungen Tharow aus- händigte. Letzterer aber leistete der Aufforderung seines Vaters keine Folge, verschwieg auch nicht den Empfang des Brieses. Durch das Bruchamt Wriezen erhielt Friedrich — 107 — der Große Kenntnis von der Angelegenheit. Dieser befahl, dem jungen Tharow für seine bewiesene Treue und Vater- landsliebe eine Belohnung von 50 Talern zu überreichen. Der erste Pächter des kgl. Fiihrgrmidstücks zu Neu-Kietz war der Kriegsinvalide G e o r g M e w e s. Er bezahlte für die Fährgerechtsame eine Jahrespacht von 90 Talern. Im Jahre 1769 entstand dem Mewes in dem 10-Morgener Harseitel zu Neu-Medewitz ein scharfer Konkurrent. Von diesem mußte jedoch das Bruchamt Wriezen berichten, daß er ein unordentlicher Wirt sei, der außer einer kleinen Kolvnistennahruug auch noch 2 Kühe erhalten, diese jedoch bald „aufgefressen" und die erhaltene Nahrung noch desolater habe werden lassen; nun wolle er sich durch den Fährbetrieb über Wasser halten. Auf Grund dieses Berichtes wurde Harseitel abgewiesen und die Fähre „dem ordentlichen und pünktlichen Invaliden Georg Mewes, mit dem die ganze dasige Gegend bisher sehr zufrieden war", belassen. Mewes mußte sich jedoch verpflichten, fortab die kgl. Baunmterialien wie auch die neuen Kolonisten frei passieren zu lassen. Sämtliche Schulzen des U n t e r b r u ch e 8 hatten dieserhalb am 8. Mai 1769 folgendes Gesuch an die Kgl. Kammer abgesandt: „Bey den grundlosen Wegen kann man auf einem 2spännigen Wagen nicht über 6 Scheffel Getreyde zum Markt nach Wrietzen fahren. Der kleine Colonist hat nicht viel Getreyde zu versilbern. Soll er dem König den Canon entrichten, so ladet er etwa 3 oder 4 Scheffel auf. Er muß von dieser Wenigkeit der Fehre bey Neu-Kietz, wenn er für den Wagen 1 Gr. und jedes Pferd oder Horn-Vieh 1 Gr. bezahlen muß, 6 Groschen entrichten. — 108 — In unferm Bruch ist kein Prediger. Vielfältig hat man mit ansehen müssen, daß arme Inwohner auf ihrem Todt- bette geistlichen Trost und das heilige Sacrament ver- langet haben, daß diese, wenn sie auch die Gebühren des Geistlichen aufbringen wollen, bey Ermangelung der 12 Gr. zur Bezahlung der Kgl. Fehre zum Mitleiden der Um- stehenden trostlos absterben müssen. Sämtliche Schulzen, Gerichte und Gemeinen der Dörffer des dißeitigen Unterbruches: Ehr. Jost (Neu-Reetz), I. E. Matthes (Neu-Lietze- göricke), PH. Vetter (Adlig-Reetz), I. F. Müller (Neu- Kietz), Stockmar (Neu-Wustrow), Bräunig (Neu- Cüstrinchen), Schuch (Neu-Glietzen), Korn (Alt-Reetz), Hoppen (Alt-Wustrow), Wurle (Alt-Wriezen), Mittel- stüdt (Neu-Nüdnitz), Schojan (Neu-Medewitz), Kuntze (Alt-Medewitz)." Sehr gesuchte Pachtobjekte waren in jener Zeit die Herrenwiesen. Interessant ist es zu hören, mit welchen Mitteln die Reflektanten ins Feld zogen, um die begehrte Wiese zu erhalten, und mit welcher Vorsicht die Kgl. Kammer die Angelegenheit behandelte, um keinen Schaden zu erleiden. Die Alt-Trebbiner Herren wiese hatten anfangs die Neu-Trebbiner kleinen Leute in Pacht. Da sie aber lässige Zahler waren, mußten sie durch militärische Exekution zur Erfüllung ihrer Pflichten angehalten werden. Bei der Neuverpachtung 1769 wurde von der Kgl. Kammer die Bedingung gestellt, daß die Hälfte der Jahrespacht prae numerando gezahlt werden müßte. Da nun die Neu- Trebbiner solches nicht vermochten, so wurde die Wiese den Alt-Trebbiner Bauern, die gute Zahler waren, überlassen. — 109 — Am 8. Juni 1781 bewarben sich die beiden Brüder Martin und Michel Böse zu Neu-Cüstrinchen um die Alt-Trebbiner Herrenwiese. Sie boten für den Morgen 1 Taler 2 Groschen, wollten jedoch bei diesem Preise die notwendigen Wirtschaftsgebäude auf ihre Kosten errichten; dagegen möchte ihnen das zum Bau erforderliche Holz aus den nahen kgl. Heiden frei verabfolgt werden. Könnte ihnen das Bauholz nicht zu Hilfe gegeben werden, so könnten sie auch nicht mehr als 18 Groschen für den Morgen zahlen. Sie hätten zwar jeder nur 50 Taler im Vermögen, hofften jedoch, sich mit einer Heirat zu helfen. Ob sich diese Hoffnungen der Brüder erfüllt haben, hat sich nicht feststellen lassen; jedenfalls aber haben sie die Herrenwiese nicht erhalten. Die Neu-Barnimer Herrenwiese hat lange Zeit der Müller Eitting in Pacht gehabt, „weil solche von ihm bequem erreicht werden konnte und er ein ordentlicher, pünktlicher Zahler war." Anfangs herrschte im Oderbruch eine grosse Holzarmut. Ilm diesen Uebelstand zu mildern, wurden sämtliche Wege und Gräben mit jungen Setzweiden bepflanzt. Später mußte ein jeder Kolonist für einen Morgen Land mindestens einen Weidenbaum unterhalten. * * * Im Jahre 1756 beschwerten sich 2 5 kleine Wirte des Dorfes Neu-Lietzegöricke beim König darüber, daß ihnen die 12 Groß- und Mittelbauern die Hälfte ihrer Weiden weggenommen und für ihren Gebrauch „aufgerissen" hätten. — 110 — Da sie jeder vom König 2 Kühe erhalten hätten, so müßten sie auch dafür die nötigen Weiden haben. Der König be- traute den Obersten v. Petri mit der Untersuchung der An- gelegenheit. Dieser mußte aber berichten, daß die Klagen der unruhigen Leute unbegründet wären. Georg und Jacob Stahl, zwei Brüder aus Württemberg, hatten sich 1754 in Neu-Lietzegöricke niedergelassen. Infolge der großen Dürre und des schädlichen Viehsterbens im Jahre 1755 war Georg Stahl gänzlich verarmt und außer stände, seine 45-Morgenstelle weiter zu bewirtschaften. Jacob Stahl bat nun den König um Ueberlassung des Hofes an seinen 19jährigen Sohn Joh. Georg, dessen Muttererbe noch in Württemberg zurück sei. Da aber Stahls Sohn für die Bewirtschaftung eines Hofes zu jung war, dieser Hof auch schon dem Müller Müncheberg, der bis dahin nur eine 10-Morgenstelle inue hatte, versprochen worden war, so wurde Jacob Stahl mit seiner Bitte abgewiesen. Jacob Stahl starb 1762, und seine Wirtschaft, eine 90-Morgenstelle, übernahm sein Sohn aus erster Ehe, obiger Joh. Georg. Die Witwe Stahls ging mit ihren sechs unver- sorgten Kindern bei ihrem Stiefsohn ins Altenteil. Von ihm erfuhr sie jedoch eine üble Behandlung, sodaß sie sich dieserhalb beim König beschwerte. Friedrich der Große ließ daraufhin dem Beklagten durch die Kgl. Kammer nahclegen, seine alte Mutter ordentlich zu behandeln, „sonst solle er sich hüten." 4- * Wie in Neu-Lietzegöricke, so lagen auch in Neu-Lewin die 10-Morgener mit den übrigen Kolonisten des Landes wegen in Streit. Im Jahre 1775 wandten sich 17 kleine Wirte beschwerdeführend an den König. Sie gaben an, sie hätten nach und nach Lachen und sumpfige Oerter,*) die *) Die Neu-Lewiner Feldmark hatte im ganzen 265 Morgen Unland, das nicht verteilt worden war. Dieses Sumpsland wurde nach und nach trocken und anbaufähig. Bis 1775 waren schon 22 Morgen urbar geworden. — 111 — bei der Verteilung übrig geblieben wären, urbar gemacht. Diesen von ihnen mit großer Mühe kultivierten Boden möchten sie sich jetzt aneignen, was ihnen jedoch von den großen Kolonisten gewehrt würde. Unterschrieben war diese Eingabe: „17 kleine Colonisten zu Neu-Lewin. Kraatz, Tornow, Wieland, Lutter, Semmler, Liek et Consorten." Ter Bauinspektor Christiani, dem die Untersuchung der Sache übertragen worden war, berichtete, daß die Supplikanten „unruhige Leute seien und mit Gewalt sich die bei dem ganzen Dorfe successiv urbar gewordenen Oerter allein anmaßen wollen." Die Supplikanten „Kraatz et Consorten" wurden vom König zur Ruhe verwiesen. Vier Geschwister Priefer (Priever) zu Egloffstein bei Landsberg a. d. W. beschwerten sich im Jahre 1780 beim König über ihren Stiefvater, den 45-Morgener Christian Bcblitz zu Kgl. Neu-Rcetz. Sie gaben an, am 16. Dezember 1772 mit ihrem Stiefvater einen Erbvergleich getroffen zu haben und zwar dahingehend, daß sie nach seinem Tode das- jenige, was alsdann der Hof mehr als 350 Taler wert sein möchte, als Erbe erhalten sollen. Ter Stiefvater scheine sie nun aber zu Gunsten andrer benachteiligen zu wolle»; denn er habe den Erbvergleich durchlöchert und den Stiefsohn Gottlieb Priefer, der bei ihm wohne, mit 50 Talern endgiltig abgefunden. Der König ordnete eine Untersuchung des Falles an. Das Justizamt Wriezen berichtete, daß die Be- schwerde der Geschwister Priefer ganz unerheblich wäre. Dem Ehr. Beblitz, einem ordentlichen Wirte, sei die Wirtschaft von den Erben für 350 Taler Angeschlagen worden. Jede Tochter habe 59 Taler 19 Gr. 7 H Muttererbe erhalten; nur Gottlieb Priefer habe sich das „Näher Recht" Vorbehalten. Dieses Rechtes habe er sich aber gegen eine Entschädigung von 50 Talern begeben. Christian Beblitz habe nunmehr mit seinen Stiefkindern nichts mehr zu schaffen. Die vier verheirateten Schwestern wurden mit ihrer Klage abgewiesen. Das; cs eigentliche Schulze,igütcr im Oderbruche nicht gab, geht aus folgenden Verhandlungen hervor: 1783 hatte der Kolonist Michael Tornow dem Schulzen Bräunig seine zu N e u - C ü st r i n ch e n be- legene 90-Morgenstelle für 2100 Taler abgekauft. Tornow war der Meinung, daß er mit dieser Wirtschaft auch das Schulzeuamt nebst dem 10 Morgen großen Dienstland er- worben habe. Inzwischen aber hatte der Justizamtmann Graeve dem Kolonisten Weckwerth das Schulzenamt nebst den dazu gehörigen Emolumenten übertragen. Tornow erhob gegen dieses Verfahren des Justizamtmanus bei der Kgl. Kammer Einspruch. Diese aber entschied, daß es das Recht des Kgl. Bruchamtes sei, nach eigenem, pflicht- gemäßem Ermessen einen Schulzen zu ernennen. * -i- * Der Husar Nicolaus Welsch vom Eben'schen Regiment in Berlin und der Kahnschiffer Gottlieb Welsch, zwei Brüder, die mit ihren Familien in Ncu-Tornow zur Miete wohnten, wollten sich 1786 unweit des Dorfes, zwischen der Oder und einem hohen Berge, ein gen,einsames Häuschen bauen, ihre alten Tage darin zu verbringen. Der Amtmann Jahrmarckt 8 — 113 zu Neuenhagen verweigerte ihnen jedoch die Bauerlaubnis. Der Husar Welsch bat seinen Escadron-Chef, den Obrist- lieutenant v. Wolffradt, um Unterstützung in der schwebenden Angelegenheit. Dieser befürwortete in einem Schreiben an die Kgl. Kammer das Gesuch seines Husaren, den er als einen Mann von bester Aufführung bezeichnete. Der König, dem das Schreiben unterbreitet wurde, forderte das Justizamt Neuenhagen zum Bericht auf. Dieses äußerte sich am 6. Juni 1786 folgendermaßen: „Das Gesuch der Brüder Welsch ist aus folgenden Gründen nicht verstattet worden: 1. Die gewählte Hauslage befindet sich dicht neben der Kgl. Forst. Der Husar Welsch ist als verwegener Holz- Defraudant bekannt und würde mehr Gelegenheit zur Defraudation haben. 2. Der begehrte Bauplatz liegt nicht weit van der Oder, von den Menschen abgesondert. Es könnte hier leicht ein Depot für Contrebande und ein Zusammenkunfts- ort für Contravenienten und Defraudanten entstehen. Solche Winkelbauten würden jedenfalls dem öffent- lichen Wohl sehr nachteilig sein." Das Gesuch des Husaren und des Kahnschiffers wurde auf Grund dieses Berichtes nicht genehmigt. Am 7. Dezember 1793 bat der Hausmann Otto Welsch, ein Sohn des obigen Husaren, das Kgl. Amt Neuenhagen ebenfalls um die Erlaubnis, in der Nähe des Dorfes am Wege nach der Fähre ein Haus bauen zu dürfen. Da in Neucn- hagen ein neuer Herr aufgekommen war, so hatte der Sohn mit seinem Gesuch mehr Erfolg als der Vater. Dasselbe wurde diesmal befürwortend dem König unterbreitet und durch Kabinetts-Ordre vom 18. Januar 1794 genehmigt. Supplikant mußte sich jedoch verpflichten, das neue Haus mit einem steinernen Schornstein zu versehen, kein Vieh frei uniherlaufen, niemand bei sich wohnen und nächtigen zu 114 — lassen, sich dem Mahlzwang zu unterwerfen, dein Prediger und Küster in Alt-Glietzen die vorgeschriebenen Abgaben zu entrichten, alle in diesem Hause gezeugten Kinder in den Fwangdicnst des Amtes Neuenhagen zu stellen und einen jährlichen Canon von 1 Taler pünktlich zu zahlen. — Jener „Winkelbau" steht heute noch. Der Einlieger Joh. Gotthilf Obacht zu Neu-Glietzcu beabsichtigte, auf dem Felde des Bauern Jsebrandt zu Hohen- wutzcn, an den abgestochenen Bergen unweit Glietzens, ein Büdnerhaus zu errichten. Am 9. März 1789 bat er das Kgl. Anrt Neuenhagen um die Bauerlaubnis und die erforder- liche Grundverschreibung. Dieses Gesuch wurde an den König weitergegeben. Das Kgl. Kabinett erwiderte, daß nach der Dorfordnung vom 16. Dezember 1702 kein Untertan der Regel nach etwas von seinen Grundstücken verkaufen dürfe. Das Dorfgericht in Hohenwutzen solle angeben, ob dem Jsebrandt dieser Handel zuträglich sein würde. Das Amt berichtete nun an den König: Das Stück Land liegt % Meile von Hohenwutzen entfernt unter den vor einigen Jahren (1785) zur Füllung der entstandenen Dammbrüche abgestochenen Bergen. Es besteht aus lauter Scheuersand und Steingrutze und ist zum Ackerbau völlig ungeeignet. Jsebrandt hat dadurch nichts mehr, als den Namen eines Besitzers eines wüsten Grundstücks. Dafür erhält er später einen jährlichen Zins von 12 Groschen für alle Feiten. Durch die Abgaben, die ein Büdner an das Kgl. Amt zu entrichten verpflichtet ist. gewinnt auch das allerhöchste Interesse. Nus allen diesen Gründen bittet das Dorfgericht, wie auch das Kgl. Amt Neuenhagen Se. Kgl. Majestät alleruntertänigst, dem p. Obacht die erbetene Erb-Fins-Verschreibung aus- — 115 — fertigen zu lassen. Dieselbe wurde dann dem Supplikanten unterm 15. Juli 1789 ausgestellt und vom König eigenhändig „confirmirt." Johann G o t t h i l f Obacht ist demnach als der Gründer des „Hohenwutzener Sand", einer Kolonie bei Neu- Glietzen, die zur Gemeinde Hohenwutzen gehört, anzusehen. * * * Die alten Kolonistenakten berichten häufig von Unglücks- sällen, die sich im Bruch ereignet haben. Zahlreiche Menschen- leben sind dem damaligen Hochwasser zum Opfer gefallen. Einer der traurigsten Begebenheiten sei hier Erwähnung getan: Am späten Abend des 8. Januar 1791 fuhr der Fähr- mann Tesch zu Neu- Kietz 5 Personen, 2 Schlächter- burschen aus Wriezcn, den Kreisboten Windschek, Martin Schure aus Alt-Kietz und den Kolonisten Pfeifer aus Neu- Kietz, über die alte Oder. Jni Dunkel der stürmischen Winter- nacht kenterte das Boot, und die 5 Passagiere fanden in der kalten Flut ihren Tod. Der Fährmann wurde am nächsten Morgen erstarrt am Ufer aufgefunden. Den ärztlichen Be- mühungen jedoch gelang es, ihn wieder ins Leben zurück- zurufen. So rächte der grollende Oderstrom die ihm vom Menschen angetane Gewalt! Während Friedrich der Große das Land geschaffen hatte, mußten es seine Bewohner gewinnen; und sie haben es redlich getan! In den ersten Jahren ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit konnten die Oderbrücher ihre Stecker nur als Wiesen und r»» — 116 Hütungen benutzen. Darum beschäftigten sie sich in dieser Zeit fast ausschließlich mit Viehzucht. Auffallend erscheint die große Zahl des Geflügels, das gezüchtet und gemästet wurde. Allmählich ging man dann zum Ackerbau über. Das erste Korn hatte der großen Nässe und Fettigkeit des Bodens wegen eine bläuliche Farbe und war fast ungenieß- bar. Als aber der Boden trockener wurde, zeigte es sich, daß er sich zu einem ergiebigen Ackerbau vorzüglich eignete. Mit der Quantität der Produkte stieg auch ihre Qualität. Die mannigfachsten Feldfrüchte wurden angebaut z. B. Weizen, Roggen, Gerste, Spelz, Hafer, Hirse, Buchweizen, Lein, Hanf, Erbsen, Bohnen, Linsen, Wicken und Kartoffeln. Und da der jungfräuliche Boden Erträge in überreichem Maße lieferte, stellte sich bei dem Oderbrücher bald eine gewisse Wohlhaben- heit ein. Die Eintönigkeit der Landschaft schwand immer mehr. Neben dem weißgetünchten Hause, dessen Südwand häufig von der Weinrebe berankt wurde, hatte der Kolonist Blumen- und Gemüsegärten angelegt. An Schächten, Gräben und Wegen wiegten Weideubäume ihre Kronen, und durch die blinkenden Blätter der hohen Pappeln fuhr lispelnd der Wind. Die Wiesen waren mit saftigem Grün überzogen, und auf den Aeckern nickten in lauer Sommerluft die vollen Aehren. So glich das Oderbruch bald einem großen, schönen Garten, bewohnt von einem fleißigen, tatkräftigen Menschenschläge. V. Aas neue Hderbruch. Wasserverhältnisse der Oder. Eine neue, bessere Zeit war für das Oderbruch ange- brochen. Junges Leben sproß überall. Aber der Weg zu einer völlig gesicherten Existenz des Brüchers war noch weit und dornenvoll. Die natürlichen Gewalten des Oderstroms waren wohl durch die Kunst des Menschen in Fesseln ge- schlagen; aber gar häufig rüttelte er machtvoll an seinen Ketten. Wenn in dunkler Wintcrnacht gewaltige Eisschollen brausend zum Meere hinabstürmten, wenn sie sich auftürmten und die wilden Wogen stauten, wenn der weiße Gischt des gepeitschten Wassers zischend über die Dammkronen spritzte, wenn der Sturm heulend und krachend durch die alten Weiden und Pappeln fuhr: dann schlug des Brüchers Herz in banger Erwartung; denn von den Gewalten des erzürnten Stroms hing seine Existenz ab, und dieser Feind war gar neidisch und rachsüchtig und suchte dem bangenden Menschen zu ent- reißen, was sein einst war. Beschäftigen wir uns im Nachstehenden des nähern mit den Verhältnissen des schassenden und zerstörenden Stroms! Zur Zeit Christi hieß die Oder V i a d r u s. Um das Jahr 800 finden wir die Namen Odern und O d o r a. — 118 — Diese Bezeichnungen rühren jedenfalls von dem littauischen Worte Audra her, welches „Welle oder Flut" bedeutet. Die Quelle des Flusses, der eine Länge von 900 km hat, liegt 634 m höher als der Spiegel der Ostsee, in welche er mündet. Den mittleren Höhenstand des Meerwassers be- zeichnet man als Normal n u l l. Da nun das Oder- wasser hinab ins Meer fließt, so niuß der Spiegel desselben in allen Punkten höher liegen als Normalnull. An wichtigen Stellen des Flußlaufes hat man Pegel — Meßplatten — angebracht, mittels welcher man den Höhen- sland des Oderwassers mißt. In der Regel nimmt man bei ihnen als Nullpunkt oder P e g e l n u l l den niedrigsten Wasserstand an, den man an der betreffenden Stelle je beobachtet hat. Der Nullpunkt am Brückenpegel in Küstrin liegt 37' 10" über Normalnull, dagegen liegt der Nullpunkt bei Neu- Glietzen nur 5' 9" über Normalnull. Gewöhnlich steht der Wasserspiegel der Oder über dem Nullpunkt. Ihr Wasser- sland ist — abgesehen von plötzlich eintretenden Stauungen durch Eismassen und andere Hindernisse — allein von der Größe der Niederschläge in ihrem Stromgebiet abhängig. Darum sinkt bei anhaltender Dürre der Wasserspiegel, während er bei langen Regenperioden oder großen Schneeschmelzen schnell steigt. Man unterscheidet eine F r ü h l i n gsflut und eine S o m m e r f l u t. Erstere wird durch das Schmelzen des Schnees hervorgerufen; letztere dagegen ist eine Folge von Wolkenbrüchen. Auffallend niedrige Wasserständ e wurden beobachtet am Brückenpegel in Küstrin: 1824, nämlich 0' 1", 1835, „ 0' 3", 1836, „ 0' 5", 1842, „ 0' 7". Hohe Wasser st ände zeigte der Brückenpegel in Küstrin am 24. Juli 1736 mit 13 2", 16. März 1771 „ 11' 10", 28. April 1785 „ 14' 7", 15. März 1805 „ 11' 1", 27. März 1830 „ 12' 7", 16. März 1838 „ 12' 3", 1. Januar 1850 „ 12' 6". Fl u t e n u n d Ue) 3 c r schw brachten die Jahre: 1039, 1 3 6 9, 1515, 1551, 1571, 1595, 1655, 1698, 1709, 1 7 3 6, 1771, 1 785. 1805, 1813, 1830, 1834, 1 8 3 8, 1850, 1864, 1876, 1888, 1889, 1893, 1908. In neuerer Zeit hat die Pegelfkala eine Aenderung er- fahren. Selbstverständich ist das Höhenverhältnis der früheren Wasserftände dadurch unberührt geblieben. Der heutige Nullpunkt am Küstriner Brückenpegel liegt . 10,67 m über Normalnull. Das Flutjahr 1785. Anfangs war die neue Oder ein schmaler Kanal, der dem alten Grabenbett der O e h r i tz e folgte. Schnell jedoch nahm sie eine nicht geahnte Breite und Heftigkeit an. Mit der Unbändigkeit des Stroms wuchs die Unzulänglichkeit der Schuhdämme. Es zeigte sich bald, daß dieselben dem Ansturm der Wogen nicht gewachsen waren und darum in der Folge häufig durchbrochen wurden. Eine große Ueberschwemmung, an die man lange Zeit mit Schrecken dachte, fand im Jahre 1785 statt. Die Frühlingsfluten der neuen Oder durch- rissen dem Dorfe Zäckerick gegenüber den Hauptdamm und stürzten sich verheerend über das Niederbruch. Viele Häuser, — 120 die alte hölzerne Brücke neben der Dnrchgangsstelle und die Arche bei Neu-Glietzen wurden ein Opfer des entfesselten Stroms. Da es den Bruchbewohnern allein nicht möglich war, den zerstörten Damm wieder herzustellen, so schickte ihnen der König 200 Artilleristen zu Hilfe. Von Jahr zu Jahr wurde an der Verstärkung der Dämme gearbeitet, sodaß sie allmählich eine Höhe von 18 Fuß er- reichten. Während sie am Grunde eine Breite von 5 Ruten hatten, zeigten sie in der Krone eine solche von 2 Ruten. Diese Verbesserung der Dämme erwies sich in der Folge als sehr zweckmäßig. Nach den Deichbrüchen von 1785 erfreute sich das Bruch einer langen, glücklichen Ruhe, einer blühenden Feit, in welcher das Land einen gewaltigen Aufschwung nahm und sich der eigentliche Oderbrücher, ein neuer Typ, ent- wickelte. In diese Periode fallen auch die so segensreichen Separationen der einzelnen Feldmarken, die den Wirt- schaftsbetrieb der Kolonisten erleichterten und somit zu einer gesunden Fortentwickelung der ökonomischen Verhältnisse wesentlich beitrugen. Hochwassergefahren. Das Jahr 1830 brachte ein gewaltiges Hochwasser, welches die Furcht vor Dammbrüchen, an die man lange Feit nicht gedacht hatte, wieder wachrief. Die kleinen Bergbäche, die sich von den kurmärkischen Höhen hinab ins Oderbruch stürzen, waren durch das Schmelzen ungeheurer Schneemassen derart angeschwollen, daß die Abzugskanäle die Wassermengen nicht abzuführen vermochten. So wurde das Oderbruch über- flutet. Während die neue Oder noch vom Eise bedeckt war, begann im alten Oderstrom die Eisfahrt, jedoch nur stück- weise. Bald traten Verstopfungen ein, und das Wasser der alten Oder stieg zu einer ungewöhnlichen Höhe. Glücklicher- weise löste sich bald das Eis und raste dem Meere zu. In- dessen wuchs nach dem Abgang des Eises der Strom noch immer und erreichte eine Höhe, welche dem Wasserstaude vou 1786 säst gleich kam. Die neue Oder drückte so gewaltsam gegen den Hauptdamm, daß in der Nähe von Alt-Rüdnitz an 20 Stellen Abbrüche entstanden, die zusammen über 300 Ruten lang waren. Zwei Wochen hindurch arbeiteten niehr als 3000 Menschen Tag und Nacht an der Ausbesserung des schadhasten Dammes. Auf zwanzig Oderkähnen wurde die nötige Erde von den gegenüberliegenden Bergen herbei- geschafft. Nach unsäglichen Mühen war die Gefahr beseitigt. Die Kosten dieser Arbeiten beliefen sich auf 4475 Taler. Das Flußbett der neuen Oder war stellenweise stark ver- sandet. Um einer weiteren Verflachung vorzubeugen, sowie das Bruch vor dem immer mehr zunehmenden Drängwasser der alten Oder zu schützen, schritt man im Mai 1832 dazu, letztere bei Güstebiese abzudämmen oder zu coupieren. Die Kosten dieser C o u p i e r u n g, die vom Staate ausgeführt wurde, stellten sich auf 12 500 Taler. Eine ähnliche Ueberschwemmungsgefahr wie 1830 trat auch im Jahre 1834 bei Neu-Glietzen ein. Das Unglücksjahr 1838. lieber 60 Jahre war das Oderbruch vor Ueberschwem- mungen bewahrt geblieben. Da nahte im Jahre 1838 das Unglück mit Riesenschritten. Schon während des ganzen Winters war der Wasserstand der Oder ein außergewöhnlich hoher gewesen, und mit Bangen sah man dem Abgang der mächtigen Eisdecke entgegen. Am Abend des 15. März begann bei grauenvoller Dunkelheit unter dem Geheul wilder Frühlingsstürme die erste Eisbewegung. Dieses Anrücken der starren Massen war jedoch nur von kurzer Dauer. Un- geheure Grundeismengcn führten alsdann in der Gegend des Zäckericker Zollhauses eine Verstopfung herbei, die verhäng- nisvoll werden sollte. Der Strom stieg infolgedessen mit großer Schnelligkeit, sodaß bei Anbruch des 16. März, eines Freitags, das Wasser stellenweise über die Dammkrone trat. Um 2 Uhr nachmittags begann der eigentliche Eisgang mit entsetzlicher Gewalt. Mächtige Eisschollen wurden wie Bälle durch die Lust geschleudert und stürzten mit donnerähnlichem Krachen gegen den hemmenden Damm. Wortlos und bleich standen die Dammwächter, die unter Einsetzung ihres Lebens den Deich zu schützen gesucht hatten, an dem tobenden Wasser und wurden sich diesen Riesenkräften der Natur gegenüber ihrer Ohnmacht bewußt. Hoffnungslos wich der Mensch der Götter- stärke; müßig sah er seine Werke und bewundernd untergehn! Um VtA Uhr durchbrachen die Fluten bei Alt-Lietzegöricke an drei Stellen den Damm, und schnell bedeckten Nacht und Grauen das Niederbruch, in dem über 7000 Menschen gebangt und gehofft hatten. Der Morgen des folgenden Tages sah anstelle einer blühenden Landschaft eine wilde Wasserwüste, bedeckt mit den Trümmern menschlicher Kunst unb menschlichen Fleißes. Grauenvoll hallten die Hilferufe der unglücklichen Kolonisten, die sich auf Dächer und Bäume gerettet hatten, über die weite Wasserfläche. Zur Erleichterung des überschwemmten Bruches wurde am folgenden Tage der alte Oderdamm bei Nen- Tornow unter großen Mühen durchstochen. Die Wogen füllten schnell das Bett der alten Oder, durchbrachen aber bei Alt-Ranft den Außendamm und ergossen sich nun auch über den Teil des Niederbruches, welcher nicht von der alten Oder umschlossen wird. Eine entsetzliche Not herrschte allerorten. Von Wriezen, Freienwalde und Güstebiese aus befuhr man mit Kähnen das Ueberschwemmungsgebiet, um den Bedrängten zu helfen, die in Lebensgefahr Schwebenden zu retten. Ein Kahn mit 2 Männern, 1 Frau und 2 Kindern geriet in die Strömung des Durchstichs bei Nen-Tornow und ward vom Strudel in die Tiefe gerissen. Im ganzen haben zwölf Menschen — nach andern Angaben nur sieben — den Tod in den Wellen gefunden. Langsam verlief sich die große Flut. Dieser Dammbrnch hat dem Oderbruche unermeßlichen Schaden zugefügt. Viele Häuser waren eingestürzt, der Weidendamm bei Freienwalde und der Rückstaudamm bei Neu- Glietzeu zerstört; Brücken und Schleusen waren beschädigt und über 1000 Morgen fruchtbaren Ackerbodens versandet. Edle Menschenfreunde beeilten sich, die Not der unglücklichen Brücher zu mildern. Es bildete sich ein Uuterstühüngsverein, der die Sammlung und Verteilung von allerlei Liebesgaben übernahm. Tie Wiederherstellung des durchbrochenen Oderdammes hat 100 000 Taler gekostet. Hohe Anerkennung für ihr mutiges Verhalten bei den damaligen Hochwassergefahren gebührt zwei braven Brüchern, die unter Einsetzung ihres Lebens ihren Mitmenschen Hilfe brachten. Wild stürmten im Februar 1834 die Wogen der Oder gegen den Hauptdamm; eine Erdscholle nach der andern ward von den Wellen hinweggespült. „Und immer höher schwoll die Flut, und immer lauter schnob der Wind, und immer tiefer sank der Mut: O Retter, Retter, komm' geschwind! Sieh, schlecht und recht ein Bauersmann am Wauderstabe schritt daher, Mit grobem Kittel angetan, an Wuchs und Antlitz hoch und hehr!" Es war der Kolonist Arendt aus N e u - R ü d n i tz, der den verzagten Dammarbeitern zu Hilfe eilte. Als er an die gefährdete Stelle kam und das nahe Verderben schaute, sprang er mit den Worten: „Der liebe Gott wird für Frau und Kinder sorgen," in die tobende Brandung, sicherte mit Erde und zugeworfenen Düngermassen den unterwühlten Damm und hielt ein unermeßliches Unglück vom Bruche fern. Der andere Brave, von dem die Tradition ehrenvoll berichtet, war der Besitzer Schüler zu A l t - W r i e z e n. Als im März 1838 die große Ueberschwemmuug Angst und Schrecken verbreitete, befuhr er mit einem Kahn die weite Flut und brachte den bedrängten und gefährdeten Kolonisten, deren Hilferufe durch die grausige Nacht gellten, Rettung. „Weder die Heftigkeit der Flut, noch das Durchbrechen der Eisfelder, noch die Gefahr des Umwerfens auf Bäume» in grauenvoller Finsternis" konnten den Mutigen von seinem Rettungswerk abhalten. Die Melioration des Niederbrnches.*) Die bei der Abdämmung der alten Oder gehegte Hoffnung, der verstärkte Strom werde sich in Zukunft ein tieferes Bett schaffen und dasselbe von Senkstoffcn freihalten, blieb unerfüllt. Die Versandung des Oderbettes nahm immer mehr zu und zeitigte bald recht nnliebsame Erscheinungen. Mit dem Steigen des Strombettes mehrte sich an der Außen- seite des Dammes das sogenannte Drängwasser; Eis- stopfungen wurden immer häufiger, und der Rückstau des Oderwassers, der sich bis oberhalb Wriezcns bemerkbar machte, gewann fortwährend an Stärke. Das Niederbruch geriet infolge der steten Zunahme des Binnenwassers wieder lang- sam in den Zustand der Verwässerung nnd Versumpfung. Die Wirtschaftsverhältnisse wurden von Jahr zu Jahr- schlechter und die Klagen der Brücher immer lauter. Da arbeitete der Ober-Deichinspektor Heuer einen Ent- wässerungsplan aus, den er der Kgl. Regierung unterbreitete, und der nach sorgfältiger Prüfung genehmigt wurde. Nach *) Nach Christian!: „Das Odcrbruch". — 125 — Maßgabe dieses Planes begannen 1849 die großen Melio- rationsarbeiten, die erst 1861 ihre Vollendung fanden. Die Ausnmndung der alten Oder in die neue bei Hohen- saathen wurde durch einen festen Damm geschlossen. In der Nähe dieser Conpicrung wurde eine Schiffsschleuse erbaut, die eine Verbindung zwischen dem Finow-Kanal lind der neuen Oder Herstellen sollte. Zur Ableitung des Binnenwassers und der Finow wurde von Hohensaathen an ein Kanal durch die Breitelege gegraben, der am Fuße der uckermärkischen Höhen entlang führt und bei Crieort in die neue Oder einmündet. In diesen Kanal wurde beim Neuenzoll ein massives Wehr eingebaut, durch welches bei plötzlich eintretendem Hochwasser der starke Rückstau vom Oderbruche ferngehalten werden soll. Zwei neue Deiche wurden an den Usern der Oder auf- geführt. Der rechtsseitige beginnt am Fuße des eilten Vennberges bei Nieder-Wutzow und endet bei Bellinchen; der linksseitige nimmt bei der Hohensaathencr Schleuse seinen Anfang, begleitet die Oder bis Stützkow, wendet sich hier schleifenförmig nach der entgegengesetzten Richtung und zieht sich bis zum Lunower Dammhause auf der rechten Seite des Kanals entlang. Dieser Deich umschließt das Stolper B r u ch, während der vorige Deich das Z e h d e n e r Bruch vor Ueberschwemmungen schützt. Im Spätherbst des Jahres 1853 waren die Arbeiten soweit vorgeschritten, daß das Wehr beim Neuenzoll zum Ablassen des Binnenwassers geöffnet werden konnte. Der Erfolg war ein überraschender. Der Wasserspiegel der alten Oder senkte sich um mehr als 4 Fuß, und weite Ländereien, die bis dahin beständig überschwemmt waren, wurden trocken und konnten nun als Ackerland benutzt werden. Die Leitung jener Bauten lag anfangs in den Händen des Geheimen Oberbaurats Becker, später wurde sie den> Geheimen Oberbaurat .Hartig übertragen. Die spezielle Aus- führung der technischen Arbeiten besorgte der Deichhaupt- inaun Regierungsrat Naumann. Die Baukosten des gewaltigen Werkes betrugen 2 170 800 Taler. Zn diesen Kosten mußten die interessierten Bruch- bewohner 1 300 000 Taler beitragen-, der Rest wurde auf die Staatskasse übernommen. Die Jahre 1854 und 1856 brachten infolge großer Wolkenbrüche und heftiger Eisgänge beängstigende Hochwasser- gefahren. Allgemein war man auf Dammbrüche vorbereitet; das Unglück schritt jedoch vorüber. Schöpfwerke und Polder. Die 00er Jahre waren für das Nieder-Oderbruch recht gesegnete. Unter dem Einfluß der Meliorationsanlagen und sehr trockner Zeiten konnten die tiefsten Gründe beackert werden, und reiche Erträge waren der Lohn für Fleiß und Mühe. Dieser glückliche Zustand war leider nicht von langer Tauer. Die fortschreitende Versandung des Oderbettes hob nach uud nach die Wirkungen der Melioration auf. Das Niederbruch hatte bald wieder unter dem Stau- und Dräng- wasser entsetzlich zu leiden; dazu kamen die Hochwassergefahren der Jahre 1876, 1888, 188!) und 1892, die des Vrüchers Herz mit Angst und Grauen erfüllten. Hatte der Landmann im Schweiße seines Angesichts seinen Acker bestellt und sah erwartungsvoll der baldigen Ernte entgegen, dann kam die Sommerflut und vernichtete alles. Die Arinut der Brücher stieg in bedenklicher Weise, und wiederholt waren sie auf Staatsunterstützungen angewiesen. Diesem Uebelstand konnte nur durch Errichtung von Poldern und Schöpfwerken, wie solche bereits 1766 Haerlem — 127 augedeutet hatte, abgcholfeu werden. Auf Grund dieser Er- kenntnis bildeten sich im Niederbruche mehrere Entwässerungs- genossenschaften: Die erste derartige Interessentengeiueinschaft schufen die Bewohner des Zehdener Bruches: den sogenannten Zehdener Polder. Ein Höhenrandkanal, der bei Nieder-Lübbichow beginnt, leitet bei normalem Wasserstand das Binnenwasser unweit Belliuchens in die Oder. Bei hohem Wasserstaud wird das Binnenwasser durch ein im Jahre 1869 erbautes Schöpfwerk beseitigt. Die Abgaben der Interessenten betragen je nach der Bodengiite 4 bis 80 Mk. pro ha. Als zweite Genossenschaft bildete sich 1875 der O d e r- be r g - H o h c n w u h e n e r Polder. Er hat eine Größe von etwa 1000 ha. Seine Entwässerungsanlagen haben 90 000 Mk. gekostet. Die Abgaben betragen hier 8,75 Mk. bis 25 Mk. pro ha. Die dritte Genossenschaft» die entstand, war der Lunow-Stolper Polder. Der Schuhdamm für diesen Polder war bereits geschüttet. (S. 126.) Im Jahre 1879 wurde bei Alt-Galow unter einem Kosten- aufwand von 160 000 Mk. ein Dampfschöpfwerk erbaut, das den Polder vom Wasser freihalten soll. An Abgaben werden 3 bis 20 Mk. pro ha erhoben. Die Gründung andrer Polder stieß ans große Schwierig- keiten. Durch die Entleerung der vorhandenen Polder in die alte Oder mußte zweifellos deren Spiegel erheblich steigen, und da infolge dieser Wasserzunahme die vielen an jenem Flußlauf belegenen industriellen Anlagen bedroht wurden» so setzten deren Besitzer einer weiteren Errichtung solcher landwirtschaftlichen Schutzmittel heftigen Widerstand ent- gegen. Aus diesem Grunde wurden anfangs mehrere Bau- projekte von der Kgl. Negierung verworfen. Nachdem aber — 128 durch die Gerhard'sche Denkschrift die Möglichkeit der Anlage einzelner Polder ohne nennenswerte Schädigung andrer Interessen nachgciviesen worden war, Staat und Provinz sich auch bereit erklärt hatten, die nötigen Baugelder zu einem billigen Zinsfuß herzugeben, so kamen noch folgende drei Genossenschaften zustande: 1. Der Finower Meliorationsverband (18. Juni 1894), ein Wiesenpolder, der 1290 da groß ist und das Gebiet südlich vom Finow-Kanal bis Freienwalde O. umfaßt. Das Wasser dieses Polders wird durch ein Schöpfwerk in den Oder- berger See gepumpt. Der ganze Bau hat 315 000 Mk. gekostet. An Beiträgen werden 16,60 Mk. pro du erhoben. 2. Der Ranfter Verband (29. September 1891). Er ist 1320 ha groß und erstreckt sich zwischen der alten Oder und dem Barnim von Freien- walde O. bis Wriezen. Seine Anlagen haben 95 000 Mk. gekostet. An Beiträgen werden 6,80 Mk. pro ha gezahlt. 3. Der Glietzener Verband (29. Mai 1895). Er umfaßt den Teil des Niederbruches, welcher sich südlich von den Glietzener und Gabower Bergen zwischen der alten und neuen Oder ausdehnt; jedoch sind nur 3600 ha dieses Gebietes beitragspflichtig. Ein etwa 15 hm langer Deich, der in der Nähe der Zäckericker Eisenbahnbrücke beginnt und am rechten alten Oderdamm bei Neu-Tornoiv endigt, teilt das ganze Gebiet in einen großen Trocken- polder und einen kleinen W i e s e n p o I d e r. Letzterer umfaßt etwa 800 ha Wiesen und Weiden, welche den ganzen Winter Hindurch mittelst einer Einlaßschleuse oberhalb Alt-Rüdnitz unter Wasser gehalten werden. Dieses Rieselwasser, — 129 — welches viele Schlickmassen mit sich führt, befruchtet einerseits die Wiesen, übt aber anderseits einen heil- samen Gegendruck gegen das drängende Hochwasser der Oder aus. Sobald der Frühling in das Land zieht, wird dieses Wasser durch ein großes Schöpfwerk bei Neu-Tornow in die alte Oder gepumpt, und ein saftiger Wiesenplan dehnt sich dort aus, wo noch vor wenigen Tagen der leichte Nachen des friedlichen Fischers sich schaukelte. Die Versandung der neuen Oder aber schreitet weiter fori. Gewaltige Dampfbagger sind gegenwärtig an der Arbeit, die abgelagerten Sandmassen zu entfernen. Diese werden zur Verstärkung des Hauptdammes verwertet. Der Kunst des Menschen wird es gelingen, den trotzigen Strom zu bändigen! Der heutige Oderbrücher. Schnell hat sich der Oderbrücher von den Leiden ver- gangener Feiten erholt. Seine Lebensverhältnisse haben sich wesentlich besser gestaltet. Behaglicher Breite und gesundem Wohlstand begegnet man überall. Die alten Rohrgebäude sind fast ganz verschwunden. An ihrer Stelle erheben sich Wirtschaftsgebäude in Steinfachwerk, mit roten Fiegeln gedeckt. Behäbig liegt das saubere Gehöft zwischen wohl- gepflegten Gärten. An der Straße steht das einstöckige Wohnhaus mit weißen Fenstern und grünen Läden; hinter diesem, in einiger Entfernung, die lange Scheune, gefüllt mit köstlicher Habe. Auf beiden Seiten flankieren Viehställe den geräumigen Hof, der durch ein hölzernes oder gar eisernes Tor, das in zwei Flügeln an steinernen Pfeilern hängt, von der Straße getrennt wird. Die meisten Arbeiten werden mit modernen landwirt- schafrlichcn Maschinen verrichtet. Hoffnungsvoll wieder streut der Oderbrücher beit Samen auf das Land, um zur Zeit der Ernte eine hundertfältige Frucht zu schneiden. Auf seinen Wiesen weiden erstklassige Rinder. Russische und pommersche Gänse, deren häßliches Geschrei zur Spätherbstzeit die neblige Lust erfüllt, werden in ungeheuren Mengen gemästet. Chausseen und Eisenbahnen durchziehen nach allen Rich- tungen hin das Bruch und führen seine reichen Produkte hinaus in das Land, besonders in die nahe Hauptstadt Berlin. Von größter Wichtigkeit für den Bruchverkehr sind die Wriezeu- Jädekendorfer Bahn und die soeben sertiggewordene Oder- bruch-Bahn. Wo einst die alten hölzernen Oderbrücken auf schwanken Jochen ruhten, verbinden jetzt zwei gewaltige eiserne Brücken die Ufer miteinander und dienen einem lebhaften Verkehr. Die im Jahre 1892 bei Alt-Rüdnitz erbaute Eisenbahnbrücke ist die längste Oderbrücke. Sic hat eine Lichtweite von 626 m. Die große Brücke bei Hohcnwutzen wurde 190-1 erbaut. Sie dient einstiveilen dem Wagen- und Fußverkehr; in kurzem soll jedoch auch eine Eisenbahn darüber hinweg- führen, die Bralitz mit Klemzow verbinden wird. Von außerordentlicher Bedeutung für die wirtschaftlichen Verhältnisse des Oderbruches wird jedenfalls der Großschiff- fahrtskanal Stettin-Berlin sein, mit dessen Bau man gegen- wärtig beschäftigt ist. Er folgt auf einer weiten Strecke dem Lauf des Finow-Kanals und führt von Hohensaathen bis Rieder-Finow am Nordrand des Bruches entlang. Lebens- und Schaffensfreude herrscht überall! Welch einen herrlichen Anblick gewährt heute das Oder- bruch^ besonders zur Pfingstzcit, wenn saftiges, frisches Grün Felder und Wiesen bekleidet, wenn die säubern Dörfchen in einen weißen, würzigen Blütenschleier gehüllt sind! Dann sitzt der Brücher gar gern vor seinem Hause auf der grünen 181 — Bank unter den schattigen Rüstern, durch welche der laue Maiwind raunt, und läßt sich erzählen von Freud und Leid seiner Väter und läßt seinen Blick träumerisch schweifen über tvogende Felder und grünende Wiesen bis hinüber zu den alten Höhendörfern, deren Bewohner ihm noch immer als Eindringling grollen. Und in dem Gärtchen vor seinem Hause duften Jasmin und Reseda, und neben ihm zwitschert der Fliegenschnepper, der sein Nestchen hinter dem grünen Fensterladen hat, und über ihm steigt seine Freundin, die Lerche, jubilierend in den blauen Aether empor: Lobet den Herrn, der alles so herrlich regieret! V' < M N12<112533667010 Das ©depbimch im Cücmdel det? 2eif. Ein ftulfurhiflorikfies’Biia